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° Patagonia - Der coolste Boss der Welt


 

Patagonia - Der coolste Boss der Welt
Öko-Pionier Yvon Chouinard macht mit seiner Outdoor-Firma Patagonia eigentlich alles falsch - und hat Erfolg damit. Jetzt lernen die Großen von ihm.


Dass Patagonia kein Unternehmen ist wie jedes andere, merkt man, bevor man die Zentrale überhaupt betreten hat. Vom Spielplatz des Firmenkindergartens dringt fröhliches Gekicher. Auf dem Parkplatz sind die besten Plätze unter dem Solardach für Autos mit niedrigem CO2-Ausstoß reserviert. Über der Rezeption zeigt eine Tafel die aktuelle Wellenhöhe an. Wenn das Meer am Strand von Ventura, Kalifornien danach ist, dürfen die Mitarbeiter surfen. So viel Zeit muss sein.

Yvon Chouinard, Gründer, Chef und Besitzer des 200-Millionen-Euro-Unternehmens, ist meistens sowieso nicht da. Die Hälfte des Jahres verbringt der 69jährige draußen - und "draußen" meint wirklich draußen: Surfen vor Hawaii, im Wildwasser-Kajak durch den Yellowstone River und immer noch die schwierigsten Berge hoch. Er schläft unter freiem Himmel und trinkt aus denselben Flüssen, in denen er fischt. "Gewohnheitssache." Mit seiner Wetter gegerbten Haut, den Handwerkerhänden und der lässigen Nicht-Frisur erinnert Yvon Chouinard eher an einen Bergführer als einen erfolgreichen Geschäftsmann. Das passt zu dem Mann, der in seine Karriere quasi hineingestolpert, besser: hineingeklettert ist. Vom Mountain-Punk der späten Fünfziger Jahre, der Kletterhaken für sich und seine Bergsteigerkumpel schmiedete, bis zum Vorzeigechef der profitabelsten und ökologisch progressivsten Outdoor-Firma der Welt.

"Ich bin ein Geschäftsmann seit fünfzig Jahren", beginnt Chouinards Business-Manifest 'Let My People Go Surfing'. "Mir fällt das ebenso schwer zuzugeben wie anderen das Geständnis Alkoholiker zu sein." Der junge Chouinard fuhr in einem alten Chevy durch die Gegend, surfte in Mexiko oder kletterte in Yosemite. Als 24jähriger verbrachte er wegen "Herumstreunens ohne festes Ziel" 18 Tage in einem Gefängnis in Arizona. Weil ihn bei seinen Touren in den Steilhängen des amerikanischen Westens die weichen Kletterhaken aus Europa nervten, schmiedete er selbst welche und verkaufte sie an Freunde. Die Teile waren so gut, dass Chouinard mit der Produktion bald nicht mehr nachkam. 1964 gründete er zusammen mit dem Luftfahrtingenieur und Kletterkumpel Tom Frost die Firma "Chouinard Equipment", die das beste Bergsteiger-Zubehör der Welt herstellen wollte. Vor allem für den Eigenbedarf, denn Chouinard hing den Großteil des Jahres hängend in irgendwelchen Felsspalten herum. Ende der Sechziger lernte er bei einer Klettertour in Yosemite die Kunststudentin Malinda Pennoyer kennen. Kurz darauf stieg sie - wie fast alle Freunde - mit in die Firma ein. Ein Jahr später heirateten die zwei. Sie haben zwei Kinder, Sohn Fletcher und Tochter Claire.


"Patagonia klingt in allen Sprachen gut"

1972 entschloss Chouinard sich zu einem radikalen Schritt, der jeden gelernten Betriebswirt zur Verzweifelung gebracht hätte. Nachdem ihm klar wurde, dass seine bestens verkauften Kletterhaken tiefe Risse ins Gestein fraßen, stellte er die Produktion ein. "Sonst zerstören wir, was wir lieben." Seine Fantasie reichte längst über die Herstellung von Bergsteiger-Equipment hinaus. Er träumte von einem hochwertigen Komplettprogramm für Outdoor-Fans, das er selber verwenden könnte. Bei einer Tour durch das schottische Hochland entdeckte er Rugbyshirts, die viel praktischer waren als alles, was es in Amerika zu kaufen gab. Chouinard verkaufte die Schotten-Shirts in den USA und gründete die Bekleidungsfirma "Patagonia", benannt nach der rauen Landschaft am Südzipfel Südamerikas, einem magischen Ort für Abenteurer. "Der Name war perfekt", schreibt Chouinard in seinem Buch. "Patagonia klingt in allen Sprachen gut."

Er sah voraus, dass die Verstädterung des Lebens einhergehen würde mit der steigenden Sehnsucht nach Natur und Abenteuer. Patagonia entwickelte Spezialunterwäsche für kalte und nasse Outdoor-Touren, fabrizierte die ersten Fleece-Jacken und die strapazierfähigsten Shorts. Jahr für Jahr schrieb Patagonias Finanzchef ein Umsatzplus von 40 bis 50 Prozent in die Bücher. Ein Teil der Gewinne floss an Umweltschutz-Organisationen. Davon abgesehen folgte Chouinard dem Lehrbuch für Jungunternehmer. Er fügte ständig neue Produkte dazu, dehnte den Vertrieb bis an die Belastungsgrenze und verschickte Werbekataloge ins ganze Land. Für eine Viertelmillion Dollar ließ der erklärte Nicht-Techniker in den frühen Achtzigern sogar einen klotzigen Firmencomputer anschaffen. Eines Tages marschierte Chouinard in den PC-Raum, blieb vor einem Riesengerät stehen und fragte zweifelnd den jungen IT-Experten: "Und dafür habe ich eine Viertelmillion Dollar ausgegeben?" "Dafür nicht", antwortete der. "Das ist die Klimaanlage."

1989/1990 kam der Kollaps. Produktion und Auslieferung waren um die üblichen 50 Prozent gewachsen, der Umsatz leider nur um zwanzig. Geschäfte schickten die Allwetterjacken und gefütterten Hosen zurück. Banken strichen die Kreditlinien zusammen. Patagonia war faktisch pleite. "Es war so schlimm", erzählte Chouinard kürzlich bei einem Vortrag an der Stanford University, "dass mein Finanzchef sogar versuchen wollte, Geld von der Mafia zu leihen." 1991, am "schwarzen Mittwoch" der Firmengeschichte, musste Patagonia 120 Mitarbeiter entlassen. "Mitarbeiter" ist das falsche Wort. Es war als habe er Familienmitglieder wegschicken müssen, sagt Chouinard. Menschen, mit denen er durch die Wildnis gezogen war, deren Kinder er im firmeneigenen Kindergarten hatte aufwachsen sehen. Mütter und Väter, die nach einer Geburt drei Monate gemeinsamen Urlaub kriegten, konnte er jetzt nicht mehr bezahlen. "Wir hatten alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte, und vergessen, wofür wir stehen."


"Wir sind hier, weil wir die Erde lieben"

In Angesicht des Abgrunds tat Yvon Chouinard, was ein Naturmensch eben tut. Er ging raus. Ein Seelentrip ins Herz von Patagonien. Die wichtigsten Mitarbeiter aus der Firma wanderten mit. Mitten in der Wildnis machten sie sich klar, warum sie überhaupt in dieses Business geraten waren. "Wir sind hier, weil wir die Erde lieben", sagte einer von ihnen. "Und wir sollten alles dafür tun, sie zu bewahren." Patagonia erklärte den Umweltschutz zum obersten Firmenziel und entwarf ein ehrgeiziges Programm, das sämtliche Prozesse bei Materialgewinnung, Fertigung, Transport und Vertrieb ihrer Produkte nach ökologischen Gesichtspunkten ausrichtete. Koste es, was es wolle. Mit derselben Akribie, mit der er als junger Mann die Eisen für bessere Kletterhaken bearbeitet hatte, drängte Chouinard seine Mitarbeiter zu revolutionären Lösungen.

1993 kamen die ersten Polyesterjacken auf den Markt, die aus recycelten Plastikflaschen hergestellt wurden (siehe Kasten, Seite XY). Seit 1996 verwendet Patagonia nur noch pestizidfreie Biobaumwolle. Seit 1998 lässt sich die Firma als erstes kalifornisches Unternehmen überhaupt komplett mit erneuerbaren Energien versorgen - die Zentrale in Ventura, das Distributionszentrum in Reno und den Flagship-Store in Denver. In der Patagonia-Kantine wird ausschließlich "Organic Food" serviert. Die Mitarbeiter bekommen bezahlte Auszeiten, in denen sie Freiwilligenarbeit für Naturschutzvereinen auf der ganzen Welt leisten können. Wer von ihnen bei Demos oder Blockaden gegen Umweltzerstörung verhaftet wird, bekommt den Anwalt gestellt. 2001 gehörte Yvon Chouinard zu den Gründern von "One Percent for the Planet". Heute machen 400 amerikanische Unternehmen und Freiberufler mit und spenden ein Prozent ihres Umsatzes für "Hardcore-Umweltschützer", wie Chouinard sie nennt. Knapp 30 Millionen Dollar kamen bislang zusammen. Seit diesem Jahr schließlich nimmt Patagonia als erste US-Firma in ihren Geschäften Polyesterwäsche an, um sie zu Fleecejacken zu verarbeiten. Bis 2010 soll die komplette Produktion auf Recycling-Materialien basieren. Dann nimmt Patagonia auch getragene Baumwollkleidung zurück.

Inzwischen rufen Giganten wie Gap, Nike oder Wal-Mart beim Pionier an, wenn sie wissen wollen, wie man seine Produktion auf Biobaumwolle umstellt oder Recycling-Ideen in den Produktionszyklus einbezieht. "Mit jedem Schritt, mit dem ich Qualität und Aufwand erhöht und die Auswirkungen auf die Umwelt minimiert habe, stieg auch der Profit", freut sich Chouinard. Mehr als acht Prozent Wachstum im Jahr vermeidet er. "Als Extremsportler habe ich gelernt, natürliche Grenzen zu achten." Patagonia an die Börse zu führen, verbietet sich für den Mann, der nicht mal über ein eigenes Bankkonto verfügt. "Wäre der Kapitalismus eine Kirche", schreibt das US-Magazin 'Vanity Fair', "hätte man Yvon Chouinard längst exkommuniziert". Unter seinen 1300 Mitarbeitern haben nicht mal fünf einen Abschluss in Wirtschaft. Stattdessen Biologen, Umweltingenieure, Anthropologen, Archäologen oder durchgeknallte Surfer. "Es ist leichter, einem Bergsteiger Materialentwicklung beizubringen als einem Betriebswirt das Bergsteigen. Unsere Arbeit soll reflektieren, wer wir sind", lautet das Credo. Auf jede freie Stelle bei Patagonia kommen im Schnitt über 900 Bewerber.

"Ich mache diesen Job nicht, um Kleidung zu verkaufen", erklärte Chouinard in einem Interview mit der wunderbaren Öko-Website grist.org. "Auch nicht um Geld zu verdienen. Patagonia existiert, weil wir zeigen wollen, wie man so sauber wie möglich arbeiten kann. Wir wollen andere Firmen beeinflussen, es uns nachzutun. Wir wollen unsere Kunden beeinflussen, das Richtige zu tun. Wem das nicht passt, der soll seine Sachen woanders kaufen."


Kunstfaserunterwäsche wird zu Polyesterjacke

Kein Wunder, dass man sich beim Besuch im einzigen deutschen Patagonia-Store in München ein wenig wie in einer ökologischen Lehrveranstaltung fühlt. Am Eingang empfängt einen der Chef in Form einer großen Fototafel persönlich. Ein langes Zitat auf dem Plakat erläutert das Firmenkonzept. Überall hängen gerahmte Bilder. Naturmotive ("Keep The Arctic Wild") oder Schwarz-Weiß-Fotos aus der Firmengeschichte: Yvon Chouinard mit freiem Oberkörper in einer frühen Werkstatt, Reisen mit der Patagonia-Familie, die ersten Kletterhaken aus Eigenproduktion. Dazu zahlreiche Auslagen mit "Fact Sheets" und Faltblättern: "10 Gründe für biologische Baumwolle", Informationen zum Recycling-Programm oder zu den unterstützten Umweltorganisationen. An einer etwas dezenteren Stelle kann man seine - möglichst vorher gewaschene - abgetragene Kunstfaserunterwäsche in einen Kasten stopfen. Ein paar Monate später wird sie sich mit anderen Schlüpfern und Hemdchen in eine wetterfeste Polyesterjacke verwandeln.

Während im Erdgeschoss gerade zwei athletisch gebaute Eltern überlegen, ob ihnen der ökologisch korrekte Winterstrampler 85 Euro wert ist, krabbelt ihr Kleines in der obligatorischen Kinderecke herum. Ein Stockwerk höher steht die Bibliothek voller Bildbände und Reisebücher. In einer Sitzecke lässt es sich von Wildnis, Eisklettern und Dschungeltouren träumen. Die schlichte, aber perfekte Abenteurerkleidung wirkt wider Willen ausgesprochen stylish. Doch ganz so schick wie im New Yorker Patagonia-Store, den Spötter wegen der teils erlesen schönen Besucher "Pradagonia" oder "Patagucci" getauft haben, geht es beim Münchener Publikum nicht zu. Eher mit der gediegenen Ernsthaftigkeit, mit der man sich auf eine Expedition vorbereiten würde. Das dezidiert Un-Schicke des typischen Patagonia-Designs hat Kultpotenzial. Bei eBay Japan wurde für eine Patagonia-Jacke aus den Achtzigern schon mal 4000 Dollar bezahlt.

"Ich bin alles andere als optimistisch, was die Zukunft der Welt anbelangt. Ich bin nicht sicher, dass wir die Zerstörung der Umwelt noch umkehren können", orakelt Chouinard in seinem Buch. "Aber wir versuchen die Firma so führen, dass wir noch in hundert Jahren Geschäfte machen können." Anpassung inklusive. Weil es, so Chouinard, in Zeiten des Klimawandels "immer weniger schneit, dafür aber die Wellen immer höher werden", ist Patagonia vor einem Jahr ganz groß in den Wassersport eingestiegen. Chouinard-Sohn Fletcher, 31, entwickelte ein Surfboard, dass bei der Produktion mit deutlich weniger Chemie auskommt als herkömmliche Bretter. Der Patagonia-Wetsuit besteht aus verarbeitetem Kalk, einer Schicht Ökowolle sowie einem Futter aus recyceltem Polyester. Denn auch die allerletzte Welle soll korrekt geritten werden.


Vorsprung durch Technik

Mit ihrem Kampf für möglichst umweltfreundliche Materialien und Fertigungstechniken spielt Patagonia eine Vorreiterrolle in der Textilindustrie. Anfang der Neunziger stellte die Firma fest, dass die Produktion von recycelten Polyesterfasern gegenüber neuen 76 Prozent Energie einspart. Der Verzicht auf konventionell mit Pestizid-Giften besprühte Baumwolle brachte die Produktion von Biobaumwolle weltweit in Schwung. Die verwendete Schafswolle wird einer besonders schonenden, chlorfreien Spezialwäsche unterzogen. Der penetrante Geruch der Rohwolle wird statt mit Chemikalien mit einer Eigenentwicklung aus zerstoßenen Krabbenschalen beseitigt. Vor zwei Jahren entwickelte Patagonia in Zusammenarbeit mit der japanischen Firma Tejin ein Verfahren, das es erlaubt Fasern beliebig oft wiederzuwerten. Bis 2010 soll die gesamte Bekleidungslinie von Patagonia ausschließlich aus Recycling-Material gefertigt werden. Die ersten Versuche mit recycelter Baumwolle sind viel versprechend, aber gewöhnungsbedürftig. "Die Färbung ist noch ein Abenteuer", gibt Chouinard zu.
 

www.nachhaltigwirtschaften.net

Mehr Informationen unter www.patagonia.com




 

 

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