Neujahrs-Einstieg
2014
So, jetzt habe ich mir
endlich eine goldene Brille gekauft. Na klar, wegen den goldigen Aussichten.
Und dann - hat mich eine
Grippe der besonderen Rasse erwischt, die ihren Namen einfach nicht mehr
verdient. Ich bin ja für Veränderungen offen, aber bitte erst nach dem
Integrationsfähigkeits-Test. Also bitte, wofür haben wir denn soviel
ausgebildete Experten, amtlich abgesegnete Fachleute.
Vielleicht könnte man dieses Grippe-UnDing mit ‚ziemlich schräge Nummer‘
bezeichnen. Kann ich mit bester Motivation nirgends mehr einordnen. Da
musste fast jedes Organ herhalten, auf Teufel komm raus. Und der kam! Aber
nicht zu spät, ein paar mal nachts fast mit ersticken gedroht. Von wegen
Ganzheitlichkeit, da wird nix mehr ausgelassen. Alle Organe rein in die
Arena. Habe ja schliesslich auch alle mal aufpäppeln müssen, dann dürfen die
auch alle antraben.
In diesen hektischen
Zeiten kann ich ja auch nicht mehr gleich alle früher mal abgeschlossenen,
‚teuflischen‘ Verträge einzeln durchsehen. Jetzt wo ich mir neuerdings
angewöhnt habe, auch noch das Kleingedruckte zu lesen. Etwas verstehe ich
jetzt aber auch nicht so ganz: wenn diese Verstickereinummer gelungen wäre,
hätte er eh nix mehr davon gehabt. Gut, der hat vielleicht eine andere
Buchhaltung, was soll’s.
Nach einer kleinen
Strassenumfrage darf ich beruhigt feststellen, dass ich in guter
Gesellschaft bin. Na, wenigstens nicht alleine grippal herumschmoren. Für
gewöhnlich dauert bei mir eine normale Grippe etwa 20 Minuten, aber so ganz
genau kann ich mich nicht mehr erinnern, ist schon viele Jahre her.
Unkenrufe sprechen von
Attacken der wildesten Sorte. Notwendige Reinigungsprozesse hört sich da
gerade noch besänftigend an. Haben da Labormitarbeiter wieder mal die
Hintertüren zur Rauchpause offen gelassen? Nein, es laufen zur Zeit keine
Ermittlungen. Personalmangel auch im neuen Jahr.
Heisst das jetzt, dass
ich etwa schon alt geworden bin, oder haben sich einfach zu viele Viren beim
Arbeitslosenamt gemeldet? Die müssten doch auch wissen, dass diese
Finanzquelle selber am schrumpfen ist. Wahrscheinlich dachten die, wir sind
eh so klein, dass fällt doch nicht auf, da werden wir schon irgendwo
runterschlüpfen können. Jedenfalls beim Formularausfüllen muss das dem
Schalterpersonal nicht sonderlich aufgefallen sein. Und ich war dort auch
nicht angemeldet, Ehrenwort!
Dann noch ein paar
deftige Prisen Solarflairs, die Nervensysteme liebkosend, runden das
festliche Menü schliesslich ab. Jawohl, es gibt solch seltenen Momente, wo
selbst mafiöse Schmerzmitteleinsätze wenigstens ein bisschen zur Erlösung
beitragen können, wenn auch nur auf der Schmalspurbahn.
Da dieses Jahr ein ganz
besonderes verspricht, hat sich fast uhrwerkpräzis kurz nach Mitternacht
dann auch noch ein Zahn angemeldet, der vermutlich etwas wenig
Aufmerksamkeit bekommen hätte, im alten Jahr. Kann man verstehen. Hatte ich
aber nicht mitbekommen.
Eigentlich wollte ich
das etwas anstrengende 2013 endlich mal verabschieden, und mich jetzt nicht
gleich um neue Baustellen kümmern. Folgt die Antwort auf dem Fusse, resp.
ein paar Stockwerke höher. So ist das, wenn man angemeldete Gäste einfach
erfolgreich ignoriert. Das sind keine Duckmäuser, die sich bereits
gesellschaftlich angepasst haben. Zähne lassen sich nicht einfach mal in die
Schranken setzen. Gut man ihnen vielleicht einen Maulkorb verpassen, das
Ding hiesse dann zum Beispiel Zahnspange. Aber lange wollen die das auch
nicht mitmachen. Doch wenn‘s dann stresst, muss es losgehen. Da die
Zeitschleife sich ja um einiges beschleunigt, müssen sich folgerichtig auch
die Manifestationen anpassen. Und so war‘s denn auch. Ich wollte behaupten:
vorgedrängelt, da wurde ich eines besseren belehrt, da diese Spezies nix
weiss von Terminkalender. Na super, wo doch fast alle Goschenpfleger im
Urlaub sind.
Am zweiten Tag wurde ich, Auweh hab dank, äusserst nachdrücklich zum Handeln
aufgefordert. Zögerlich die Goschenzentrale angerufen und mir eine
Notfallnummer geben lassen.
Und
dann ging‘s aber echt los. Meiner akademischen Neugier folgend, wieso ich
denn schon bei der Terminvereinbarung eine kostenpflichtige 0900er-Nummer
anwählen muss, wurden die Tarife aber subito klar durchgezogen. Was ich denn
daran auszusetzen hätte. Wie oft rufe ich denn am 2. Neujahrstag an, um
einen Behandlungstermin zu vereinbaren. Ich äusserste mal ganz vorsichtig
mein Erstaunen und konnte mir gerade noch verkneifen, ob Räuspern jetzt im
Katalog auch schon taxpflichtig aufgeführt wäre.
Ich müsse aber eine Anzahlung machen, da die Zahlungsmoral nicht eben zum
Firmenvorteil ausfallen würde. Oh, oh. Wieso mich gerade das jetzt nicht
verwundern konnte, auch hier noch im Schweigemodus. Ist doch gerade diese
Dienstleistungsbranche bekannt für eine äusserst gesunde
Selbstversorgungs-Grundhaltung. Es soll aber auch schon Praxisfälle geben,
wo sich sogar hier ein Sozial-Gen eingenistet hätte. „Kann ich nicht, habe
das Geld nicht, muss mit sehr wenig davon auskommen, was übrigens bei immer
mehr Menschen in diesem Lande der Fall ist“. Ich müsste das doch verstehen,
da einige dies Rechnungen nicht bezahlen würden. Kann ich sogar sehr gut
verstehen, doch scheint diese Verständnisschiene eine klassische
Einbahnstrasse zu werden. Erst meine dramatisch inszenierte Nachfrage
brachte den Durchbruch: ob ich mich denn jetzt vor Schmerzen doch noch
umbringen müsste. Termin um 10.30.
Nach 11.00 kommt eine
strahlend erleichterte Patientin zur Folterkammer raus, glücklich eine
Wurzelbehandlung überstanden. Mein Paradieswunsch rückt nahe.
Ich werde abgeklopft.
Meinen Reflex „herein“ zu rufen muss ich nachhaltig unterdrücken. Man müsse
ein Röntgenbild machen. Mitleidende wissen, dass solche Haltevorrichtungen
inkl. Spangen noch immer nahezu Lastwagenformat haben. Dass konnte auf den
ersten Anlauf nicht klappen. Tut höllisch weh dieser monströse
Ablichtbaustein. Mein Oberstkörperteil braucht ein paar Sekunden zum
akklimatisieren. Mein Erklärungsversuch, dass ich meine Klappe nicht so weit
aufreissen könne, scheitert kläglich. Begegnet mir postwendend der
unmissverständliche Schleudersatz, dass mit Wille alles möglich sei, so was
hätten bis jetzt noch alle hinbekommen. Kommt mir irgendwie bekannt vor.
Hört man viel in diesen Tagen. Aber für diesmal nicht Sein, sondern deren
Wille war das Losungswort, alles klaro. Dass bei mir im Leben nicht alles
nur mit Wille allein funktioniert, konnte ich auch nach Gelingen des
Röntgenbildes dann doch nicht plausibel genug rüberbringen. Mein letzter
Versuch: zu beachten wäre die Körperintelligenz, als ein segensreicher
Faktor – durfte ich ja gerade wieder mal auffrischen. Das war dann zuviel
des Guten. Dann geht alles sehr schnell. Eine entzündete Zahnwurzel
vermutlich, noch nicht sichtbar auf dem Bild. Kann man nix machen, müsse
erst bakteriell abklingen. Ups, war nicht vor mir eine Patientin, bei der
genau das ...
Abklingend eine
verklausulierte Nuschelbemerkung, dass es ja gar nicht sicher sei, ob ich
diese Behandlung überhaupt bezahlen könne. Entlassen werde ich ohne
Behandlung, dafür mit einer Familienpackung Antibiotika. Das müsse reichen
bis mein Zahnarzt vom Urlaub zurückkommt.
Ich gebe recht locker
nach. Mich von meinem eigenen Willen überzeugen lassend, das sei doch gar
nicht so schlimm. Meine Schmerzen sind schon fast vergessen. Irgendwie
erleichtert, wenn ich mir ausmale, was das in meiner Beisshöhle für ein
Gemetzel gewesen wäre, ich hätte mich nach diesem Vorwort doch glattweg in
den Vorhof zur Hölle ausliefern müssen, und das auch noch ohne den
pastoralen Segen. Die Typen kannte ich doch schon von meinem Grippeerlebnis.
Blutrauschbäche überfallen mich, Alpträume folgen.
Meine kleine Symbolgabe
des Trostes beim Eintritt in die Praxis, ein Packet mit Biogebäck für die
geplagte Gesellschaft mit Notfalldienst, durfte ich dann gleich wieder
mitnehmen. Auch gut.
Zuhause angekommen,
schaue ich mir nochmals kurz das Jahreshoroskop an. Ich darf zufrieden
sein. Da bin ich mit einer kleinen Schramme dem Teufel von der Spielwiese
entronnen. Und kann jetzt nur noch hoffen, mein Zahnarzt kommt ausgeruht vom
Urlaub zurück.
Ein böses Omen? Nö! Ein
Altlastentferner? Ja, gerne, Immunverstärker inkl. Viel Spass 2014 !
jac
h.
riger,
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