Kleine Einführung
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° Feminine und nicht Macho-Technik führen uns weiter ° Männer haben abgewirtschaftet
Utopische Zukunft wirkt heute retro Der Weg der Technik in die Zukunft ist mit Innovationsflops gepflastert. Der Zukunftsforscher Matthias Horx ist überzeugt, dass nur feminine und nicht Macho-Technik weiter führt. Nautilus von Jules Verne Jules Verne hat 1888 ein Büchlein geschrieben, wie sich im Jahr 2890 das Leben eines Journalisten in Amerika abspielen werde. Wenn ich Sie, Matthias Horx, heute bitte, 1000 Jahre vorauszuschauen: Wie lebt ein Journalist 3009? Ich glaube kaum, dass es dann noch «Journalisten» gibt, vielleicht heissen sie dann «Codierer» oder «Mind Sampler», oder «Sensationswürmer» und leben eher in virtuellen Welten. Im Ernst, 1000 Jahre in die Zukunft zu schauen, ist doch ein bisschen zu ehrgeizig, und es interessiert auch niemanden wirklich, was in so langen Zeiträumen passieren wird. Verne war ja eher ein Salon-Dichter. Damals war der technische Fortschritt am Beginn einer Ära. Heute, nach all den tollen Sci-Fi-Romanen der letzten 40 Jahre, ist die Zukunft gewissermassen abgegrast: Man kennt schon alles. Utopische Zukunft wirkt heute regelrecht retro. Verne sagt eine Art Rohrpost-Schnellbahn unter dem Atlantik voraus. Als Nutzen davon sieht er, dass sich Damen aus Paris mal kurz in New York einen Hut kaufen gehen – was man sich heute schwer vorstellen kann. Sind technische Errungenschaften leichter abzuschätzen als gesellschaftliche und modische Entwicklungen? Das, was ich im meinem Buch «Technolution» versuche, ist ein Prognose-Modell, das technologische und soziale Evolution als eine Art symbiotischen Prozess denkt. Menschliche Bedürfnisse fungieren für Technologien wie eine Umwelt für biologische Spezies. Technologien müssen sich an menschliche Bedürfnisse anpassen, oder es geht ihnen wie vielen Arten: Sie sterben aus. Humane Wünsche und Ängste funktionieren wie Antriebskräfte, aber auch wie Bremsen für Technik. Ich glaube, das man auf diese Weise Technik viel besser in ihrem Wesen verstehen und ihren Zukunftspfad beschreiben kann als mit den wilden Spekulationen von früher. Sie bemerken in Ihrem Buch, dass das Publikum eigentlich nie angeboten bekommt, was es haben möchte, sondern das, was die Industrie für gut hält. Böse Zungen nennen das Prinzip «Wir haben die Lösung, jetzt suchen wir das Problem». Ist das Marketing wichtiger als die Erfindung? Vieles entstammt den Profitinteressen oder Systemzwängen der Anbieter und scheitert deshalb kläglich am Markt. Das beste Beispiel ist die private Videotelefonie: Das würden die Handyfirmen den Kunden furchtbar gerne verkaufen, weil dann sehr sehr viele Daten durch die Systeme fliessen und die horrenden Investitionen für UMTS bezahlen würden. Aber private Videotelefonie stresst die Leute eher, sie macht Kommunikation kompliziert und überkomplex. Wir lieben SMS, weil es so einfach ist. Ein anderes Beispiel sind Computer: Haben wir uns als Benutzer MS-DOS-Computer gewünscht? Nein, wir hätten lieber Apple-Computer, oder etwas ähnlich Schickes, gut Bedienbares. Der PC ist ein Sachzwang, Resultat einer Evolution, die bei der Bürorationalisierung begonnen hat. Bill Gates war so schlau, daraus ein Monopol zu machen. Monopole sind aber eher unkreativ, und deshalb sind die meisten Computer heute immer noch so nervende, hässliche Kisten. Wenn man die vielen Produkte-Flops betrachtet, fragt man sich, was all die Marktforscher tun. Sind ihre Methoden falsch? In Sachen Technik nützt Marktforschung wenig und wird wenig angewandt. Man hat zum Beispiel jahrelang gefragt, ob Privathaushalte ein Faxgerät haben wollten. Die Leute haben immer Nein gesagt. Es ist sehr schwer, zu verstehen, was man will oder wollen könnte. Unser Bild von Zukunftstechnik ist immer von der Vergangenheit geprägt. Henry Ford, der Autobauer, formulierte vor einem knappen Jahrhundert: «Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie wahrscheinlich gesagt: ein schnelleres Pferd.» Die Nahrungsmittelindustrie lanciert jährlich 50'000 Neuheiten, wovon vielleicht ein Prozent Anklang findet. Sind Innovationen nur mit einer geballten Ladung von Versuch und Irrtum durchzusetzen, weil die Konsumenten vollkommen unberechenbar sind? Manches sind natürlich schlichte Marketing-Fehler, aber vieles kann man vorher wissen. Dass zum Beispiel Nahrungsmittel mit funktionalen Additiven nicht der grosse Renner sein werden, wie es die Nahrungsmittelindustrie gerne hätte, sage ich seit Jahren. Der Bio-Trend ist viel stärker, und Menschen haben ein sehr ängstliches Verhältnis zur Nahrung. Das liegt in unserem anthropologischen Erbe: Wir fürchten zu sehr, uns zu vergiften. Wir sind misstrauisch gegenüber dem, was «hineingetan» wird. Das ist ein Ur-Instinkt, der nicht so leicht zu umgehen ist. Wer macht denn letztlich die Industrie, die Werbung, die Lifestyle-Medien oder doch das Publikum als Masse? Das ist natürlich eine Koproduktion aller dieser Spieler. Man tut sich leichter, wenn man den Prozess als gesellschaftlichen betrachtet. Jede Kultur, jede Zivilisation, entwickelt Präferenzen, Werte, Mentalitäten, die auch ihr Verhältnis zur Technik steuert. In archaischen Kulturen gelten Techniken als «magisch», sie waren immer Herrschafts- und Religionselemente. Imperien brauchen und bauen immer martialische Technologien mit einem hohen Symbolwert. Wissens-Ökonomien, wie wir sie derzeit entwickeln, präferieren eher Technologien, die auf «Geist und Witz» hinweisen. Das spiegelt sich in der Karriere des Handys, das sowohl ein Hightech- als auch ein Lifestyle-Produkt ist. «Hightech-Hightouch» ist die Zukunft der Technologie. Wer in diesem Markt erfolgreich sein will, muss Technik als Kulturprozess entwickeln. Er darf nicht seinen industriell geprägten Ingenieuren die Innovationsarbeit überlassen. Die Autohersteller haben das getan. Und jetzt haben sie den Salat. Muss ein Käsehersteller einfach zu Horx gehen, wenn er mit seinen neuen Sorten einen Flop vermeiden will? Wir könnten zumindest viele Fehler vermeiden. Und vielleicht dabei helfen, anders auf den Käse zu schauen. So, dass etwas Faszinierendes daraus wird. Mit «Tipps zu Trends» hat das wenig zu tun, das ist anstrengende analytische Arbeit. Den Atmosphärenphysikern gelingt es nicht einmal mit einer Massierung von Supercomputern, das Wetter für mehr als vier, fünf Tage vorherzusehen. Wie können Sie wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen auf Jahre hinaus prognostizieren? Wenn man genügend Daten hat und ein System, das man in seinen Zusammenhängen versteht, kann man oft ganz gute Prognosen machen. Das Wetter ist ein sogenannt hyperkomplexes System, mit sehr, sehr vielen Variablen, da ist es eben sehr schwer. Aber nicht alle Systeme sind so. Die Bevölkerungsentwicklung kann man heute sehr gut prognostizieren – bei 9,2 Milliarden wird die Menschheit in diesem Jahrhundert ihren zahlenmässigen Höhepunkt erreichen, danach werden wir als Spezies wieder seltener. Ebenso lässt sich die Entwicklung vieler Technologie-Pfade voraussehen. Die Zukunfts-Wissenschaften entwickeln sich, wie alle anderen Wissenschaften. Wir wissen heute mehr über die Zukunft als früher. Wir wissen aber auch, was man nicht vorhersagen kann. Zum Beispiel, wann die Fusionsenergie erfunden wird oder der Überlicht-Raumschiffantrieb. Entscheidend ist bei einer Prognose der Zeitpunkt, zu dem das Ereignis eintreten soll. Wie berechnen Sie Ihre Zukunftsaussagen auf der Zeitachse voraus? Mathematisch, mit einem Modell oder intuitiv? Durch ein multifaktorielles Verfahren, dass in «Technolution» geschildert ist. Nehmen wir als Beispiel das E-Book. Wir wissen sehr viel über das Medienverhalten von Menschen. Wir kennen die technische Entwicklung von Bildschirmen. Und wir wissen etwas über Büchermärkte. Wir können prognostizieren, dass elektronische Bücher in 10 Jahren etwa 15 Prozent aller Lese-Operationen abdecken werden. Das ist verdammt viel, aber auch wenig im Vergleich zum Gesamtmarkt. Das Buch wird nicht sterben, aber es wird weniger Bücher geben. Dafür schönere. Sie schreiben, die Welt werde femininer. Wann und wie? Und mit welchen Folgen für den gesellschaftlichen Alltag? Schluss mit technischen Gadgets wie V8-Turbomotoren oder Terabyte-Handhelds? Die Welt wird jetzt femininer. Die Bankenkrise ist nichts anderes als das Scheitern eines Risikoverhaltens von Männern. Das Ende der Testosteron-Börse. Der Einbruch bei den Autoabsätzen ist ein signifikantes Anzeichen für einen Wertewandel, der sehr tiefgreifend ist. Autos waren in ihrer Evolution ein halbes Jahrhundert von der Idee der männlichen Kontrolle geprägt. Autos waren vor allem Statussymbole für Männer. Es war einfach unerlässlich für einen mächtigen Mann, ein eigenes, schnelles, schwarzes, «mächtiges» Auto zu fahren. Heute gibt es einen Umwertungsprozess. Mobilität wird plötzlich anders, eben auch «weiblicher» definiert. Die Statussymbole ändern sich plötzlich. Es ist nicht mehr cool, sondern eher peinlich, einen dicken Boliden zu fahren. Damit zeigt man, dass man im Grunde nicht an die Zukunft angepasst ist. Das Ölzeitalter geht zu Ende, und mit ihm ein männlich dominierter, beschleunigter Technikbegriff, die «Rocket-Tech». Technik wird in Zukunft smarter, ästhetischer, meditativer, ökologischer, netzwerkhafter sein, manche sagen auch «nachhaltiger». Wenn man der Theorie von den Kondratieff-Zyklen glaubt, braucht es für einen grossen Aufschwung irgendeinen technischen Durchbruch, der dann alles weitere nach sich zieht. Ist so etwas jetzt in Sicht? Die Grüne Technologie wird mit Sicherheit den Kern des nächsten Kondratieff-Zyklus bilden. Man stelle sich vor, welche gigantische Infrastruktur wir aufbauen müssen, wenn es darum geht, nachhaltige Energiequellen zu vernetzen und schliesslich Wasserstoff zu nutzen. Dabei wird auch Nano- und Materialtechnik eine Rolle spielen. Aber es geht in Zukunft auch sehr viel mehr um die «Soziotechniken». Um Bildung, Kooperationsfähigkeit, Soziale Intelligenz. In Zukunft wird nicht primär Technik den Wandel bringen, sondern zunehmend unsere geistige Fähigkeit, unsere «Selbstwirksamkeiten». Eine Wissensgesellschaft entsteht aus Talent, Kulturtechniken und Technologie. Welches sind Ihre persönlichen kleinen Sünden, wenn es um technischen Tand geht? Ich liebe Apple-Computer und das damit verbundene Statement der Kreativität. Wenn man ein iPhone aus der Tasche zieht und es mit einem Streicheln dazu bringt, die ganze Welt zu zeigen, dann lasse ich dafür jeden Porsche stehen. Und siehe da: Plötzlich funktioniert das Ding als Statussymbol viel besser als ein Porsche! Sogar bei den Frauen!
Zukunftsforscher Matthias
Horx
"Männer haben abgewirtschaftet"
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