Kleine Einführung
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Ernährung 15. Oktober 2007 Foodwatch Chef Thilo Bode ärgert sich beim Einkaufen im Supermarkt grün und blau. „Sie können sich auf nichts mehr verlassen: Teuer ist nicht gut, und billig ist nicht schlecht.“ Ein Interview über Lebensmittel, Zusatzstoffe, Gammelfleisch - und erfundene Bauernhöfe. Herr Bode, fühlen Sie sich beim Einkaufen betrogen, wie es im Titel Ihres neuen Buches heißt? Im Supermarkt ärgere ich mich ständig grün und blau. Warum? Jedes Mal, wenn ich Tee brauche, steht der woanders. Das ist eine Verwirrungsstrategie. Zum Thema Das nennen Sie schon Betrug? Damit fängt es an. Neulich habe ich mich bei Kaiser's an der Fleischtheke informiert. Ich habe gesagt, ich würde gerne mal diesen schönen Birkenhof besuchen. So heißt deren Fleischmarke, mit einem stilisierten Landgut drauf. Ich hätte gehört, sage ich, dass man immer nach der Herkunft des Fleisches fragen müsse, deshalb würde ich gerne die Kuh besichtigen, von der mein Fleisch stammt. Nein, sagt die Verkäuferin, das können Sie nicht. Ist der Birkenhof denn kein Bauernhof? Nein, sagt sie, doch, aber da kommt das Fleisch nur her. Wo sind denn dann die Kühe? Die stehen woanders. Ist das also mehr ein Schlachthof? Nein, nein. Am Ende war klar, dass man der Werbung nicht glauben darf. Aber Supermärkte sind doch ein Schlaraffenland. Milchprodukte, Obst, Gemüse, frisches Brot: Alles, was ich zur gesunden Ernährung brauche. Wo liegt das Problem? Ich muss den Informationen vertrauen können. Hier, auf dieser Getränkepackung "Fruchttiger" steht: "gesunder Durstlöscher". Und: "Kann zur gesunden Entwicklung Ihres Kindes beitragen." Da ist Zitronensäure drin. Klingt harmlos, ist aber E 330, ein chemisch hergestellter Zusatzstoff. Das greift die Zähne an und erleichtert die Aufnahme von Schwermetallen. Solche grellbunten Produkte muss ja niemand kaufen. Aber heutzutage ist überall Zitronensäure drin. Selbst in Mövenpick-Marmelade. Ich kann mich nicht mal auf Markenprodukte verlassen? Sie können sich auf nichts verlassen. Teuer ist nicht gut, und billig ist nicht schlecht. Ich liebe Senf und habe immer diesen klassischen Dijon-Senf gekauft. Irgendwann habe ich entdeckt, dass der Zitronensäure enthält. Darauf verzichten Sie jetzt? Natürlich. Es gibt in Europa mehr als 300 zugelassene Zusatzstoffe, aber die Hälfte davon ist umstritten. Einige Wissenschaftler behaupten: unbedenklich. Andere sagen: problematisch. Es ist jedoch müßig, auf dieser Gesundheitsfrage herumzureiten. Das Entscheidende ist, dass Sie Zusatzstoffe praktisch nicht vermeiden können. Kann es denn sein, dass die Lebensmittelentwicklung nur Unfug erfindet? Unsere Lebensmittel sind schlechter geworden. Wir haben zwar eine größere Auswahl. Aber weil Rohstoffe der größte Kostenfaktor sind, werden diese durch Farbstoffe aufgehübscht, durch Geschmacksverstärker künstlich verbessert und durch Konservierungsmittel haltbar gemacht. Geschickte Werbung verkauft das Zeug dann trotzdem als Qualitätsprodukt. Was wäre die Konsequenz? Jeder hat natürlich das Recht, ungesunde Lebensmittel zu essen. Wenn einer Zitronensäure essen will, darf er das tun. Aber alle anderen, die das nicht wollen, müssen eben auch eine Chance haben. Wir bräuchten beispielsweise eine Lebensmittelkategorie „ohne Zusatzstoffe“. Was gehört Ihrer Meinung nach auf Lebensmitteletiketten drauf? Zunächst einmal müssen die Verbraucher das Recht bekommen, Informationen zu erfragen und zu überprüfen. Dann würden dreiste Lügen der Hersteller von selbst wegfallen. Außerdem brauchen wir eine konsequente Minimierung von Giftstoffen. Und für alle umstrittenen Lebensmittelzusätze gilt: einfach verbieten. Die sind überflüssig. Und was muss auf die Packung? Ich würde mir Qualitätsklassen wünschen. Beispiel Fleisch: Neben Biofleisch, bei dessen Herstellung weder Pflanzenschutzmittel noch Mineraldünger zum Einsatz kommen und die Tiere artgerecht gehalten werden, könnte man sich eine konventionelle Premiumsorte vorstellen, die mit lokalen, nicht gentechnisch veränderten Futtermitteln unter besonders guten Haltungsbedingungen hergestellt wird. Die dritte Kategorie umfasst dann alles, was die gesetzlichen Mindeststandards erfüllt. Aber ich kann doch schon jetzt meine Würstchen beim Metzger kaufen anstatt im Supermarkt. Es gab auch Gammelfleisch in bayerischen Traditionsgaststätten. Vor Gammelfleisch sind Sie nirgendwo sicher. Dann lieber zu McDonald's? Da sind Sie jedenfalls sicher. Wie kann das sein? Die setzen das Prinzip der Rückverfolgbarkeit lückenlos um. Die haben ein oder zwei Schlachthöfe, die kennen ihre Lieferanten, und sie können es sich absolut nicht leisten, einen schlechten Hamburger zu verkaufen. Also ein echtes Vorbild? Das ist doch keine Kunst. Wir fahren zum Mond. Und dann heißt es, es wäre zu kompliziert, die Handelswege unseres Fleisches nachzuzeichnen. Die Verbraucher müssen echt kapieren, dass sie an der Nase herumgeführt werden. Oft heißt es: Wer Billigprodukte will, soll sich nicht wundern, wenn die Qualität nicht stimmt. Das ist ein elitärer Standpunkt. Diese Aufforderung: „Kauft doch Bio, ihr Billigheimer!“ finde ich extrem arrogant. Viele Leute müssen genau rechnen . . . . . . und verhalten sich deswegen sogar völlig rational! Eben. Wenn Sie sich einen neuen Computer ausgesucht haben, greifen Sie doch auch zum billigsten Angebot. In jedem anderen Markt ist es wichtig, dass die Leute Preise vergleichen. Und niemand würde sich damit herausreden, dass Ihr Computer nicht funktionieren kann, weil Sie den billigsten genommen haben. Im Lebensmittelmarkt wird Ihnen das erzählt. Aber billiges Fleisch muss genauso sicher sein wie teures. Übertreiben Sie da nicht etwas? Ich übertreibe kein bisschen. Aber wir werden doch nicht reihenweise krank. Wir wissen doch gar nicht, wie viele Leute schwere Magenkrämpfe haben, weil sie verdorbenes Fleisch gegessen haben. Im Lebensmittelrecht brauchen Sie theoretisch erst eine Leiche, bis die Behörden agieren. Es ist menschenverachtende Politik, wenn wir ganz legal langfristig sich akkumulierende Gifte wie Dioxin über das Essen zu uns nehmen müssen. Nur kriegen Sie Krebs halt nicht von heute auf morgen. Und dann soll jemand sagen: Das Putenschnitzel damals war schuld. Genau. Bei Autos ist es so: Wenn ein Modell gute Bremsen hat und das andere schlechte, verschwindet die schlechtere Qualität irgendwann vom Markt. Bei Lebensmitteln kann ich mir aber nicht das Produkt mit der niedrigsten Pestizidbelastung heraussuchen. Deshalb findet kein Wettbewerb darum statt. Wenn Sie einen Kühlschrank kaufen, der nicht kühlt, kriegen Sie einen neuen. Sie können die Garantie überprüfen. Die Marke Landliebe bewirbt ihre Milch mit ländlicher Idylle und einer angeblichen Qualitätsgarantie. Die können Sie nicht überprüfen: „Kommt von ausgesuchten Bauernhöfen.“ „Kühe werden artgerecht gehalten.“ Sie können dort ja mal anrufen und sagen: Ich will Ihre ausgewählten Bauernhöfe besuchen! Sie wären sicher begeistert, wenn die Leute öfter zum Telefon greifen und nörgeln würden. Natürlich. Aber es geht nicht um Nörgeln, verlangen Sie einfach Informationen. Milch ist Milch, seit dem Milchgesetz von 1930, diese Landliebe-Milch ist nicht besser als andere, billigere Sorten. Auch setzt der Hersteller Campina bei der Milchproduktion gentechnisch veränderte Futtermittel ein und bezieht die Milch aus richtig großen Ställen von bis zu 2000 Rindern. Aber Sie als Verbraucher müssen beweisen, dass die Qualitätsversprechen der Landliebe-Milch nicht den Tatsachen entsprechen. Der Konzern muss gar nichts beweisen. Und da kommen Sie zum Hauptproblem. Wir Verbraucher haben keinerlei Rechte. Deshalb muss der Lebensmittelmarkt anders organisiert werden. Ihr Buch liest sich wie eine Verschwörungstheorie, wenn Sie beschreiben, wie Agrarlobby, Lebensmittelindustrie und Handel mit der Politik verwoben sind. Das ist aber die Realität. Wo gibt es denn eine Organisation, die wirklich Verbraucherinteressen vertritt? Wer außer Foodwatch sagt denn, dass wir Fleischabfälle genauso behandeln müssten wie Elektronikschrott? Keiner kann heute mehr einen Fernseher herstellen, ohne für die Entsorgung der Abfälle zu haften. Nur bei Fleisch ist es anders: 16 Millionen Tonnen Müll werden in Europa ohne Kontrolle hin- und hergefahren. Es ist kaum zu überprüfen, ob diese Abfälle nicht in die Ukraine exportiert, dort zu Würsten gemacht und wieder nach Deutschland eingeführt werden. Reichen unsere Kontrollen nicht? Die Kontrolleure beanstanden ja dreißig Prozent aller Frischfleischproben. Aber die Verantwortlichen greifen nicht ein, weil sie sich nicht mit der Wirtschaft anlegen wollen. An diesen Missständen wird sich nichts ändern, wenn die Menschen „bewusster“ einkaufen. Vielmehr müssen sich die Verbraucher organisieren. Warum fällt das so schwer? Wie zu Beginn der Umweltbewegung müssen wir den Verbrauchern erst klarmachen, dass sie es mit einem politischen Problem zu tun haben, das sie nicht individuell lösen können. Wenn ich auf Vorträgen über Produkte wie Fruchttiger oder Landliebe rede, sind die Leute schockiert. Wenn ich zu den Schlachtabfällen komme, werden einige ziemlich sauer. Das brauchen wir: Empörung. Nur dann wird die Politik reagieren. Das Gespräch führte Julia Schaaf. Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14.10.2007, Nr. 41 / Seite 62 Bildmaterial: Christian Thiel ° Bücher
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