Kleine Einführung
ins aktuelle
Weltgeschehen
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was zu TUN ist
(jhr)
Kleine Einführung ins aktuelle Weltgeschehen
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° Renaissance der Atompropoganda
"Nach wie vor steigt die Gefahr"
Interview zum Atomstreit
Der einstige
Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) zur Diskussion um den Atomausstieg,
Reaktorsicherheit und den Zusammenhang von Klima, Strompreisen und Laufzeiten.
Interview: Thorsten Denkler
sueddeutsche.de: Herr Trittin, 44 Prozent der Deutschen halten den
Atomausstieg für falsch. Ist Ihr Atomkonsens in Gefahr?
Jürgen Trittin: Die Menschen wurden gefragt, ob sie, wenn der Strom
billiger wird, sich überlegen könnten manche Kraftwerke länger laufen zu lassen.
Dass da noch 50 Prozent nein gesagt haben, das ist das eigentlich
Verwunderliche. Tatsächlich aber steigt der Strompreis, wenn man durch eine
Laufzeitverlängerung für abgeschriebene Altanlagen die marktbeherrschende
Stellung der Unternehmen - Eon, RWE, EnBW und Vattenfall - mit
Milliardengeschenken weiter stärkt.
sueddeutsche.de: Dennoch: Die Atomlobby hat es geschafft, die
Argumentationshoheit zu erlangen. Was ist schiefgelaufen?
Trittin: Sie hat nicht die Argumentationshoheit, weil sie in aller
Lautstärke das wiederholt, was sie schon seit Jahren von sich gibt. Wir haben es
hier mit dem dreisten Versuch einzelner Unternehmen zu tun, sich ihre
abgeschriebenen Altanlagen und damit ihre Gelddruckmaschinen länger zu erhalten
- und das entgegen ihrer eigenen Zusage im Atomkonsens.
sueddeutsche.de: Man könnte auch sagen: Als der Atomkonsens unterzeichnet
wurde, waren die Vorzeichen etwas andere als heute.
Trittin: Nach wie vor wird tonnenweise Atommüll produziert ohne
Endlagerlösung, nach wie vor sind AKW riskant, nach wie vor sind neue
Atomkraftwerke nicht wettbewerbsfähig, nach wie vor wächst die Gefahr des
militärischen Missbrauchs angereicherten Urans und abgetrennten Plutoniums
weltweit. Atomkraft ist so sicher, dass nun in drei französischen Orten das
Trinkwasser abgestellt werden musste. Welche Vorzeichen haben sich geändert?
sueddeutsche.de: Die Energiepreise lagen weit unter den heutigen. Die
Klimadebatte würde weitaus weniger scharf geführt.
Trittin: Der Ölpreis und der Klimaschutz haben mit den Laufzeiten von
Atomkraftwerken rein gar nichts zu tun. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Mit
Atomkraft das Wohnzimmer zu heizen, ist schrecklich ineffizient. Bei der
Erzeugung des Stroms werden schon 70 Prozent der freigesetzten Energie als
Abwärme in die Luft gepustet. Und im Haus wird der Strom dann mit hohen
Verlusten wieder in Wärme umgewandelt.
sueddeutsche.de: Solange bei der Produktion des Stroms kein CO2
freigesetzt wird, kann dass doch der Umwelt egal sein.
Trittin: Es ist und bleibt ein Märchen, dass Atomkraftwerke völlig
CO2-frei arbeiten. Atomstrom ist vielleicht CO2-ärmer als ein Kohlekraftwerk,
aber CO2-belasteter als erneuerbare Energien.
sueddeutsche.de: Atomkraft schneidet viel besser ab, als Kohle. Das
könnte doch ein Argument für Kernenergie sein.
Trittin: Vergleichen Sie Atomstrom lieber mit erneuerbaren Energien. Dann
sieht es für die Atomkraft schlecht aus.
sueddeutsche.de: Irritiert Sie nicht, dass auch in der SPD laut darüber
nachgedacht wird, die Laufzeiten für AKW zu verlängern?
Trittin: Dass die SPD hier in Teilen wackelt, überrascht mich auch nicht.
Wir wissen alle, was Herr Clement sagt, der heute auf der Gehaltsliste von RWE
steht.
sueddeutsche.de: Ihr ehemaliger Kabinettskollege ist heute unter anderem
Aufsichtsrat bei RWE für geschätzte 20.000 Euro im Jahr. Ab es sind ja noch
mehr, die sich noch nicht aus der Deckung trauen.
Trittin: Ob es noch andere in der SPD gibt, wird sich zeigen. Für
diejenigen, die der SPD da nicht trauen, habe ich einen ganz einfachen Tipp: Es
gibt da eine Partei, die ist beinhart in dieser Frage. Das sind die Grünen.
sueddeutsche.de: Der SPD-Vordenker Erhard Eppler hat folgenden Vorschlag
gemacht: Laufzeiten etwas verlängern, wenn im Gegenzug der Ausstieg im
Grundgesetz verankert wird. Sie aber wollen keinen Deal, haben Sie gesagt. Warum
nicht? Ihr Ausstiegsgesetz kann von jeder Regierung abgeschafft werden. Das
Grundgesetz bietet mehr Sicherheit.
Trittin: Der Vorschlag ist tot. Die CDU will sich die Option auf neue
Kernkraftwerke erhalten. Darum lohnt es nicht, darüber überhaupt zu reden.
sueddeutsche.de: Ist er nicht dennoch interessant?
Trittin: Interessant ist, woher die Idee wirklich stammt, nämlich direkt
aus dem Umfeld der Atomindustrie. Er wird dort seit drei Jahren ventiliert, in
verschiedenen Foren. Es ist schon erstaunlich: Erhard Eppler war ja
mitverantwortlich dafür, dass Deutschland den Irrweg der Atomenergie
eingeschlagen hat. Er hat dann seine Position sehr überzeugend korrigiert. Und
nun kehrt er zu den Irrtümern seiner Jugend zurück.
sueddeutsche.de: Erhard Eppler ist doch kein Freund der Atomkraft. Da tun
Sie ihm Unrecht.
Trittin: Er scheint zumindest sehr wenig darüber nachgedacht zu haben,
was denn eine Laufzeitverlängerung konkret heißt.
sueddeutsche.de: Was heißt sie denn?
Trittin: Nehmen Sie die konkreten Kraftwerke. Es geht um Biblis, ein
Kraftwerk, dass jahrelang stillstand, weil man es nicht notkühlen konnte und in
dem dann 100 fehlerhafte Dübel entdeckt wurden. Es geht um Brunsbüttel, in dem
es 2001 zu einer Wasserstoffexplosion in der Nähe des Reaktordruckbehälters kam.
Ich könnte die Liste beliebig fortsetzen: der Schrottbeton im AKW
Neckarwestheim, der Brand im AKW Krümmel. Solchen Altanlagen kann eigentlich
nicht mal ein Atomkraftbefürworter ein längeres Leben wünschen.
sueddeutsche.de: Dann reizt Sie sicher auch nicht der andere Vorschlag,
nämlich die Gewinne aus abgeschriebenen AKW in die erneuerbaren Energien zu
investieren.
Trittin: Schauen Sie mal, was die Energiekonzerne mit den geschenkten
Millionen bei den CO2-Zertifikaten gemacht haben. Sie haben sie nicht in
erneuerbare Energien investiert, sondern auf die Preise aufgeschlagen und die
Stromkunden noch mal bezahlen lassen: Von einer Laufzeitverlängerung würde RWE
mit sechs Milliarden Euro und Eon mit zwölf Milliarden Euro profitieren. Die
werden davon nichts abgeben.
sueddeutsche.de: Was sagen Sie den Freunden der erneuerbaren Energien,
die lieber mit als ohne Atomkraft dem Klimawandel begegnen wollen?
Trittin: Ich kenne nur einen, der so argumentiert: Fritz Vahrenholt, der
so etwas gelegentlich als Chef eines Windradherstellers gesagt hat. Der damalige
Großaktionär seines Unternehmens war übrigens der französische Atomkonzern Areva.
sueddeutsche.de: Vahrenholt hat seine Position schon als Hamburger
SPD-Umweltsenator vertreten. Damals war das doch wohl noch unverdächtig.
Trittin: Als wir den Atomkonsens verabschiedet haben, hatten wir vier
Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Heute sind es fast 15 Prozent. Vom
Netz genommen haben wir seither eine Kapazität von sechs Prozent des Stroms. Es
ist jetzt schon sehr viel mehr Strom aus erneuerbaren Energien im Netz, als
durch den Atomausstieg bisher vom Netz genommen wurde. Heute stellt die
Atomkraft 22 Prozent, im Jahre 2020 will selbst die große Koalition 30 Prozent
des Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Glos und Merkel bestätigen: Man
kann Atomkraft mit erneuerbaren Energien ersetzen - und man kann auch noch Strom
sparen.
sueddeutsche.de: Was nicht heißt, das die steigende Nachfrage damit
gedeckt werden könnte.
Trittin: Deutschland exportiert in wachsendem Maße seinen Strom. Selbst
am Tag der größten Stromnachfrage im vergangenen Jahr haben wir die Kapazität
von zwei Großkraftwerken exportiert, obwohl zeitgleich fünf Atommeiler nicht am
Netz waren.
sueddeutsche.de: Viele sprechen von einer Renaissance der Atomkraft. Wird
damit auch eine Renaissance der Anti-Atom-Bewegung einhergehen?
Trittin: Ich sehe keine Renaissance der Atomkraft. Als George W. Bush
2000 das Oval Office übernahm, hat er angekündigt, er würde 50 neue
Atomkraftwerke bauen. Jetzt haben wir das Ende seiner Amtszeit. Acht Jahre
später wurde kein einziges in Auftrag gegeben.In Europa sind seit Tschernobyl
zwei Projekte neu angefangen worden. Bei dem einen in Frankreich ist ein
Baustopp verhängt worden. Das in Finnland verzögert sich wegen ausufernder
Kosten. In der bisherigen Bauzeit sind aber nach meiner überschlägigen
Berechnung fünf oder sechs Atomkraftwerke in Europa vom Netz gegangen. Der
Anteil der Atomenergie in Europa ist rückläufig.
sueddeutsche.de: Die Ankündigungen Großbritanniens, der Schweiz,
Schwedens und Frankreichs sprechen eine andere Sprache.
Trittin: Ankündigungen hatten wir schon viele. Dort aber, wo die
Marktwirtschaft regiert und keine anderen Subventionen für die Atomkraft
fließen, wird sich der Bau nicht rechnen. Das sind risikoreiche
Milliardeninvestitionen. Die immer teurer werden. Schon alleine weil die
Stahlpreise fast noch schneller steigen als die Ölpreise.
sueddeutsche.de: Dann scheint die Anti-Atom-Bewegung ja überflüssig zu
sein.
Trittin: Zwei Dinge dazu: Zum einen wird sich überall da Widerstand
regen, wo es eine lokale Betroffenheit gibt. Zum Zweiten: Dass es ruhiger
geworden ist, hat etwas damit zu tun, dass ein Kompromiss geschlossen worden
ist. Solange der Konsens in Deutschland hält ...
sueddeutsche.de: ... er wird gerade massiv in Frage gestellt.
Trittin: Ja, aber er hält. Und das er so in Frage gestellt wird, war
einer der Gründe, warum wir uns nicht auf eine lose Verabredung mit der
Industrie alleine verlassen haben, sondern ein Gesetz gemacht haben. Wir ahnten
schon, dass es sich bei unserem Verhandlungsgegenüber nicht um ehrbare Kaufleute
gehandelt hat.
sueddeutsche.de: Die Union will die Atomkraft zum Wahlkampfthema machen.
Freuen Sie sich schon?
Trittin: Das wird uns nicht schaden.
sueddeutsche.de: In Japan haben die G-8-Staaten jetzt vereinbart, dass
bis 2050 die CO2-Emissionen um die Hälfte reduziert werden sollen. Hätten sie
das Ergebnis als Erfolg verkaufen können, wenn sie noch Umweltminister wären?
Trittin: Notwendig wäre die Bestimmung von Zwischenzielen. Das ist nicht
geschehen. So muss keiner der verantwortlichen Politiker noch in seiner Amtszeit
dafür geradestehen, dass die geplante Reduktion tatsächlich erfolgt.
sueddeutsche.de: Wie sehen Sie die Rolle von Bundeskanzlerin Merkel in
dem Spiel?
Trittin: Frau Merkel hat es geschafft, das Thema Klimawandel im letzten
Jahr sehr deutlich mit auf die Tagesordnung zu setzen. Viel mehr ist bis jetzt
aber nicht erreicht worden. Das einzig Neue an diesem Gipfel ist, dass George
Bush erklärt hat, die Welt sei keine Scheibe, sondern doch eine Kugel.
sueddeutsche.de: Wird eine neue US-Regierung mehr in Bewegung bringen?
Trittin: Die Regierung Bush hat bisher alles blockiert, was mit
Klimawandel zu tun hatte. Heute sagt sie immerhin, dass wir da ein Problem
haben. Egal, wer Präsident wird in den USA, der wird sich in dieser Frage
künftig anders aufstellen. Auch wenn es dadurch nicht unbedingt leichter wird.
sueddeutsche.de: Dann bleibt Frau Merkel also einsame Vorreiterin in der
Klimadebatte.
Trittin: So ist es nicht. Die Klimaschutzpakte der Bundesregierung fußen
ja im Wesentlichen auf unseren rot-grünen Gesetzen. Statt mehr zu tun, zettelt
die Union lieber eine virtuelle Atomdebatte an, von der niemand profitieren
wird.
sueddeutsche.de: Gut, dann bleibt Deutschland eben einsamer Vorreiter in
der Klimadebatte.
Trittin: Stimmt so auch nicht. Die Allianz hat eine Studie des WWF
finanziert, wonach Großbritannien und Frankreich in den Bemühungen um weniger
CO2-Ausstoß inzwischen vor Deutschland liegen. Hören Sie auf einen Bremer: Platz
drei ist nicht mal Champions League.
09.07.2008,
www.juergentrittin.de
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