Kleine Einführung
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° Werthers leidende Nachfahren
„Werthers leidende Nachfahren“ Vortrag von Tio
Tio: Ich grüsse euch alle – mit grosser Freude, und heute sogar mit besonders grosser Freude, weil einige liebe Freunde heute hier sind, die ich neulich wieder getroffen habe, und ein paar neue Leute – und auch ein paar Leute, die öfter gerne kommen. Eine ideale Zusammensetzung heute! Ich hoffe, dass ich mit unserem Thema, das ich wie immer aus einem etwas revolutionären Blickwinkel betrachten möchte, euch auch diesmal interessante Denkanstösse geben kann, und das wird ganz bestimmt nicht langweilig werden. Die Silvie und ich, wir waren ja am Anfang dieses Jahres zu der Übereinstimmung gelangt, dass ich nicht so langweilige Titel für die Vorträge machen soll. Deswegen machen wir das seitdem so: Ich mache einen reisserischen Aufmacher, damit Silvie zufrieden ist, und dann hinterher setze ich meinen intellektuellen Untertitel darunter. Mein schöner reisserischer Aufmacher für heute ist: „Werthers leidende Nachkommen“ – in Anlehnung an diesen damals wirklich revolutionären Roman, der viel Staub aufgewirbelt hat. Der wird uns heute noch etwas beschäftigen, weil sein Inhalt eigentlich in jedes Menschen Leben immer noch eine Rolle spielt. Zunächst jedoch möchte ich einen Blick werfen auf die Historie der Liebe zwischen Mann und Frau – einer besonderen Facette der menschlichen Liebesfähigkeit. Da werdet ihr ganz schön staunen, was ich da zutage fördere, und dann möchte ich euch auch einen Ausblick eröffnen, was Liebe sein kann, wenn man das, was sie sein könnte, voll ausschöpft und zulässt. So. Zunächst einmal scheint es ja in dieser Zeit, in der ihr jetzt lebt, wohl so zu sein, dass Liebe und Leiden ganz eng miteinander verknüpft sind. Menschen raffen sich immer wieder auf, um sich neu zu verlieben, oder wenn sie eine Liebe haben, die lange trägt, dann berichten sie regelmässig davon, dass es schwierige Zeiten gab und dass sie durchgehalten haben und dass viel Mühe und Arbeit erforderlich war, diese Liebe zu erhalten. Manche Lieben aber – eigentlich sogar ziemlich viele Lieben – erkalten, oder sie werden aufgegeben, weil sie nicht das einlösen, was sie am Anfang zu versprechen schienen. Das alles kann und wird sich wandeln, und es kann sich in jedes Menschen Leben rascher wandeln, wenn man ein bisschen über die Hintergründe des Phänomens der zwischenmenschlichen Liebe bescheid weiss – vor allem über deren Entstehungsgeschichte und über die Entwicklungsmöglichkeiten, die die Liebe hat. Zunächst einmal scheint es nämlich nur so zu sein, dass Liebe und Leiden in des Menschen Psyche so eng verknüpft sind und dass das immer so war. Es wird heute sehr wenig hinterfragt, ob das tatsächlich stimmt – ob Liebe und Leiden schon immer Nachbarn waren – oder ob sie nicht doch ziemlich neue Nachbarn sind. Die enge Verknüpfung ist auch in der kollektiven menschlichen Psyche, besonders in eurer Kultur, schon beinahe normal, und viele Menschen halten die Nachbarschaft von Liebe und Leiden für unausweichlich und erwarten nicht, wenn sie sich verlieben, dass es auf Dauer schön bleibt. Manche befürchten so sehr, mit Leid konfrontiert zu werden, dass sie sich lieber gar nicht verlieben und alleine bleiben oder sich nur sehr oberflächlich auf einen anderen Menschen einlassen. Die glücklichen Lieben, die es ja zum Glück auch gibt, die scheinen in dieser Zeit jetzt doch ziemlich eindeutig die Ausnahme zu sein. Jetzt möchte ich aber, um unsere kleine Zeitreise in die Entstehungsgeschichte der Liebe zu starten, doch sagen, dass das ziemlich neu ist, dass Menschen überhaupt mit so viel Engagement einen anderen Menschen, einen Liebespartner oder Lebenspartner, lieben können, wie das in eurer Gegenwart zumindest versucht wird. Das ist absolut neu. Dieses Phänomen der engagierten und gefühlsintensiven menschlichen Liebe ist etwas mehr als zweihundert Jahre alt. Zweihundert Jahre. Nicht zweitausend. Das, denke ich, wird euch erstaunen, denn heutzutage scheint es ja ganz normal zu sein, dass Liebe ein intensives Gefühl ist, wenn auch meistens eines, das mit nicht allzu viel dauerhaftem Glück verbunden ist. Diese Entwicklung begann tatsächlich erst mit der Bewegung der Romantik vor ungefähr zweihundert Jahren. Und es ist ein kleines interessantes Phänomen am Rande, dass diese neue Form zwischenmenschlicher Liebe hier bei euch in Europa begann – um ganz genau zu sein, es begann sogar hier in Deutschland. Mit der Literaturbewegung der Romantik, die einige sehr bekannte Dichter gestartet haben. Sie waren richtige Katalysatoren und Startsätze für eine wichtig kollektive Entwicklungsstufe. Da sage ich gleich noch mehr zu, wenn wir mit unserer Zeitreisemaschine in der Romantik einen Zwischenstopp machen. Europa ist schon immer der Vorposten für neue Entwicklungsimpulse gewesen, und erst in den letzten paar Jahrzehnten haben sich die Möglichkeiten für neue Entwicklungsimpulse, für neue Ideen und neue Empfindungen über den ganzen Planeten ausgebreitet. Ganz lange, fast bis in die Gegenwart, sind die meisten Neuerungen in Europa entstanden. Soweit zu diesem interessanten Aspekt am Rande, und nun zurück zu unserer Zeitreise. Da wollen wir weit zurück gehen in die lange Zeit vor der Romantik, in die Vergangenheit dieser Menschheit, dieser menschlichen Inkarnation, die alle Kulturen umfasst von Beginn des Matriarchats bis heute. Da stellen wir fest, dass in fast allen vergangenen Epochen, Kulturen und Zeitaltern ein grosses persönliches Engagement für einen bestimmten Menschen des anderen Geschlechts überhaupt nicht üblich war. Das verwundert vielleicht zunächst, weil auch die Literatur berichtet, dass es wohl zu allen Zeiten grosse Liebende gegeben haben soll. Die hat es auch immer gegeben, aber sie waren die absolute Ausnahme, nie die Regel. Sie waren absolut herausragende Einzelpersönlichkeiten, und sie haben manchmal aufgrund ihrer Aussergewöhnlichkeit Geschichte geschrieben. Für die grosse Masse der Menschheit war ein dermassen intensives Sicheinlassen auf einen bestimmten Menschen ein unvorstellbarer Luxus. Das konnte sich fast niemand leisten, und das hat damit zu tun, dass in allen vergangenen Epochen, auch in jenen, die im Rückblick ziemlich glanzvoll aussehen, doch das Leben von einer Härte war, die intensive Herzensbindungen gar nicht zugelassen hat. Das hätte fast keines Menschen Psyche überlebt, sich intensiv auf einen Beziehung mit einem Menschen einzulassen, den man jederzeit durch Tod wieder verlieren konnte. Es war sogar in den vergangenen Hochkulturen, also in der griechischen und römischen Antike, sogar in der ägyptischen Antike so, dass die normale Lebenserwartung doch recht kurz war. Sie lag meist unter 40 Jahren. Einige Leute wurden natürlich älter, aber das waren Ausnahmen. Im Durchschnitt war man mit 40 Jahren alt und viele Menschen waren dann schon gestorben. Auch in jüngeren Jahren war es an der Tagesordnung, dass Menschen einander durch den Tod verloren haben. Das war so normal, dass in allen vergangenen Epochen frühes und plötzliches Sterben an Infektionen, an Krankheiten, bei Geburten und bei Unfällen absolut an der Tagesordnung war. In relativer Sicherheit für eine lange Lebensspanne, in relativer Gesundheit befindet ihr euch erst seit wenigen Jahrhunderten, eigentlich erst seit wenigen Jahrzehnten. Das ist absolut neu. Und erst diese relative Sicherheit macht es möglich, sich intensiv auf einen bestimmten anderen Menschen einzulassen. Das heisst, in allen früheren Kulturen haben sich die Menschen nicht so lange aneinander gebunden, weil die Verbindungen gar nicht auf die Dauer eines langen Lebens von siebzig oder achtzig Jahren angelegt waren. Meistens dauerten eheliche Verbindungen oder eheähnliche Verbindungen auch kein kurzes Leben von vierzig Jahren. An der Tagsordnung war, dass die Menschen verwitweten, dass den Frauen ihre Männer im Kindbett starben – (Dieser versehendliche Dreher sorgte für viel Heiterkeit. Silvie hatte das zuerst gemerkt, hatte Tio angehalten und musste dann nachträglich noch lachen.) Tio: Na das wäre doch ein interessante Sache für die Zukunft, das Kinderkriegen mal zu tauschen. Aber ohne zu sterben. Gut, korrekt soll es heissen, dass die Frauen im oft Kindbett starben. Damit musste jede rechnen. Eine Frau, die verheiratet war oder eine eheähnliche Verbindung hatte, die bekam zwangsläufig Kinder, weil das Wissen über zuverlässige Geburtenkontrolle nicht existierte oder nur sehr Wenigen zugänglich war. Und so war in die Beziehung auch gleich der Tod eingeladen. Kinder zu bekommen war damals lebensgefährlich. Es war wirklich normal, in dem Sinne, dass es fast jede Frau irgendwann traf, bei einer Geburt zu sterben. Es gab wenige Mütter, die fünf, sechs, sieben oder acht Kinder hatten und immer noch lebten und gesund waren. Oder sie überlebte alle Geburten, aber es starben Kinder. Auch die Männer lebten gefährlich und der Tod war täglicher Gast am Tisch und im Bett jeder Familie. Die Männer sind in den Krieg gezogen oder sie haben körperlich schwer gearbeitet, und damals gab es keine Sicherheitsbestimmungen beim Hausbau oder in Zimmerei und Sägemühle oder wo auch immer. Damals hat fast jeder schwer körperlich gearbeitet, und die besser gestellten Leute waren Handwerker, keine Schreibtischarbeiter. Man hatte kaum Maschinen, höchstens einige wenige, die mit Wasserkraft betrieben wurden, und das meiste wurde mit dem Einsatz von Körperkraft geschaffen. Das Leben war damals wirklich unvorstellbar hart. Es forderte von jedem fast die gesamte Lebensenergie und das verschliss die Menschen früh. Die Menschen, die in der Stadt von Fuhrwerken überfahren oder von Pferden zu Tode getreten waren, die waren eher selten, solche Verkehrsunfälle gab es nicht oft. Es war das tägliche Leben, das die Opfer forderte. Der Tod war immer dabei, und da konnte man sich nicht sehr eng an einen anderen Menschen binden. Dafür hatte man nicht die Kraft, und es war auch ein Schutzmechanismus der Psyche, sich innerlich nicht ganz und gar auf jemanden einzulassen, den man jederzeit verlieren konnte. Und dann gab es noch ein anderes Phänomen, das es schwierig machte, dass zwei Liebende, wenn es sie denn gab, zueinander finden und beieinander bleiben konnten. Die Ehen damals waren nämlich sehr selten auf Sympathie und noch viel seltener auf Liebe gegründet. Das war ebenfalls ein Luxus, den sich fast niemand leisten konnte. Die Menschen waren schon glücklich, wenn sie ihren Ehepartner einigermassen mochten, das war schon mehr, als man erwarten konnte. Die meisten Ehen wurden aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Da hat der Handwerksbetrieb seine Tochter dem Sohn eines anderen Handwerksbetriebes gegeben, damit die beiden Betriebe fusionieren konnten. Bei den Bauern war es ähnlich, da wurde Land mittels Heirat zusammengelegt oder erhalten, und meistens wurden die Brautleute gar nicht gefragt, ob sie einander mochten. Sie hatten Glück, wenn es so war. Auch bei Fürsten und Königen war das so, vor allem dort wurden vorwiegend aus politischen Gründen Ehen geschlossen. Im Bürgertum gab es aber auch schon damals eheähnliche Gemeinschaften. Auch damals waren nicht alle Paare offiziell verheiratet. Jedoch auch in den eheähnlichen Gemeinschaften musste man damit rechnen, dass man den Anderen plötzlich verlor, aus den vorgenannten Gründen oder weil man selbst oder der Andere anderweitig verheiratet wurde. Da hatte man aber wenigstens das Plus der Sympathie. Aber auch das konnte sich nicht jeder leisten, es war eine Möglichkeit des Zusammenlebens im Bürgertum, wo politische Ehegründe nicht berücksichtigt werden mussten und die wirtschaftlichen Gründe sich in Grenzen hielten. Manchmal hatten die Leute Glück und blieben zusammen. Dies ist eine interessante Sache, ich weiss gar nicht, ob ihr das wisst: Euer alter Tio hat da recherchiert, und es gab da einen Brauch im gesamten Europa vom frühen Mittelalter bis in die Zeit der Aufklärung hinein: Das war die Winkelehe – diese ist das Äquivalent zu einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, wie man sie heute kennt. Die damaligen Winkelehen wurden nicht aktenkundig, sie beruhten nur auf persönlicher Übereinkunft zwischen den Partnern. Eine Winkelehe kam zustande, wenn in einem Winkel des Hauses ein Mann eine Frau fragte, ob sie eine Winkelehe mit ihm eingehen wolle, und sie stimmte zu. Die beiden galten dann als verheiratet, sie konnten offiziell zusammenleben und haben auch Kinder bekommen, aber eine solche Winkelehe konnte jederzeit getrennt werden und es gab keinerlei Sicherheit und Schutz für die Partner. Diese eheähnlichen Gemeinschaften waren fast häufiger als die offiziell geschlossenen Ehen. Aber auch dort hat man sich den Luxus sehr tiefer Gefühle, also dessen, was ihr heute Liebe nennt, nur in absoluten Ausnahmen leisten können. (Silvie, beim Abtippen: Ich las vor einiger Zeit einen historischen Roman aus dem europäischen Mittelalter, in dem eine Frau sich schämte, dass sie ihren Mann sehr gern hatte, den Sex mit ihm genoss und ihn auch persönlich sehr mochte. Heute würde man sagen, sie liebte ihn, aber damals galt das als anstössig, so hatte man in der Ehe nicht zu empfinden, und die Frau hielt ihre Gefühle nach aussen hin sorgfältig geheim. Auch der Mann, der ähnlich empfand, nahm sich in Acht und zeigte seine Gefühle nur in den eigenen vier Wänden, weil er sonst in der Gesellschaft sein Gesicht verloren hätte. Leider habe ich den Titel des Romans vergessen, aber es passt ja zu dem, was Tio da recherchiert hat – wirklich interessant.) Tio: Die Menschheit hat viele Jahrtausende lang so etwas wie Liebe, wie ihr sie heute erlebt, gar nicht oder doch nur in wenigen Ausnahmen gekannt, weil die Zeiten so hart waren, dass man jederzeit eine Trennung befürchten musste, und weil es eine Schutzmassnahme der menschlichen Psyche war, sich nicht so eng auf einen Anderen einzulassen. Man musste immer soviel Abstand bewahren, dass man sich von einem wahrscheinlichen Verlust des Anderen emotional gut erholen konnte. Es gab ausserdem sehr viele Menschen, nämlich den grössten Teil der Landbevölkerung, die es noch schwerer hatten, überhaupt persönliche Bindungen einzugehen, nämlich die zahlreichen Leibeigenen. Ich weiss gar nicht, ob ihr das wisst. Aber euer alter Tio hat gründlich recherchiert und dabei allerhand gefunden. Silvie: Du hast mich richtig damit genervt. Tio: Ja, sie hat mich immer gedanklich gefragt, stimmt das denn auch, war das wirklich so, und so weiter. Silvie hat ja keine Zeit, viel zu lesen, und so musste sie mir schon glauben. Wir haben das aber schon öfter gemacht, und es hat meistens gestimmt, was ich zutage gefördert habe. So, weiter im Vortrag. Der grösste Teil der Landbevölkerung, so um die 90 Prozent, waren keine Bauern, sondern Leibeigene - Mägde und Knechte. Die Leibeigenschaft existierte bis ins 17. Jahrhundert hinein. In anderen Kulturen hat man dies Sklaverei genannt - und genau das war es und wenn ihr euch vorstellen wollt, wie das Leben für die Leibeigenen damals aussah, dann könnt ihr Bücher über die amerikanische Sklaverei lesen. Die ist, anders als die europäische Sklaverei, gut dokumentiert und dies sogar aus erster Hand von Sklaven selbst, die schreiben gelernt hatten. So ähnlich wie es dort beschrieben wird, so war das Leben der Leibeigenen damals in Europa auch. Die Herren hatten das uneingeschränkte Bestimmungsrecht über ihre Sklaven und diese mussten eine Heiratsgenehmigung erbitten, wenn sie einen Partner gefunden hatten. Die haben sie aber längst nicht immer bekommen. Dann verbanden sie sich ohne Genehmigung, mussten aber damit rechnen, jederzeit auseinander gerissen zu werden, z.B. verkauft zu werden, ohne ihre Kinder wurden verkauft. Da konnte sich niemand sehr eng binden. (Jemand sagte nach dem Vortrag, dass er gelesen habe, die Sexualität sei damals doch recht lebhaft gewesen. Das wissen wir (Tio und Silvie ) nicht so genau, wir denken eher, die Sexualität war natürlich da, aber wahrscheinlich oft ohne enge emotionale Bindung und besonders verfeinert kann sie unter den damaligen harten Lebensbedingungen für das Gros der Bevölkerung auch nicht gewesen sein.) Tio: Lasst uns zusammenfassen: Wenn sich in den Zeiten vor der Romantik Menschen in einer Lebensgemeinschaft verbunden haben, dann standen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund oder politische Interessen. Persönliche Bindungen waren zweitrangig und man hatte sehr viel Glück, wenn sie sich entwickelten. Sehr eng und ausschliesslich konnten sie unter den damaligen Lebensbedingungen nicht sein. Deswegen war es Ende des 18. Jahrhunderts eine ungeheure Revolution, dass da einige Schriftsteller, als einer der ersten der bekannte Goethe mit seinem Werther-Roman, eine ganz neue Art der Liebe schilderten. Jetzt auf einmal war es ganz neu und war es möglich, dass ein Mann und eine Frau sich nur aus Sympathie und nur aus einem Gefühl tiefer Zuneigung einander zuwandten, beieinander sein wollten, einander begehrten, die Nähe des Anderen und die Energie das Anderen genossen haben, und alle anderen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessen dahinter zurück getreten sind. Diese neue Idee der romantischen Liebe wurde Ende des 18. Jahrhunderts erst möglich, weil zu jener Zeit der Lebensstandard, besonders hier bei euch in Europa, soweit gestiegen war, dass die Lebenserwartung allmählich höher wurde – zu jener Zeit war es schon nicht mehr so aussergewöhnlich, fünfzig oder sechzig Jahre alt zu werden – der Ernährungszustand der Menschen war besser, die Leibeigenschaft war abgeschafft, der allgemeine Lebensstandard war, gemessen an dem, was ihr heute kennt, zwar immer noch extrem niedrig, aber er war, verglichen mit den Zeiten davor, immerhin soviel höher, dass der Kampf um das tägliche Überleben nicht mehr die ganzen Energien eines Menschen aufzehrte und dass die Menschen jetzt zumindest ein bisschen Zeit und Energie übrig hatten, um sich um ihre persönliche Entwicklung zu kümmern und um ihre Beziehungen zu Anderen. Da waren nun nicht mehr nur praktische Interessen ausschlaggebend, sondern jetzt konnte man mehr darauf achten, was die Gefühle sagten. Deshalb möchte ich, nachdem wir so ausführlich die alten, harten und sehr fremden Zeiten betrachtet haben, unsere Zeitreisemaschine wieder für einen längeren Stopp anhalten. Dann werden wir uns die romantische Liebe, die damals sehr sehr revolutionär war und sich plötzlich wie eine Explosion verbreitet hat, genauer ansehen. Dann werden wir auch einen Bezug herstellen zu dem, was aus dieser Art von Liebe bis heute geworden ist und welche Entwicklung die Liebe in der Zukunft einschlagen kann. Denn sie ist ganz bestimmt nicht an einem Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten angekommen. Ihr könnt euch ja vorstellen, wenn der Kampf um das tägliche Leben und Überleben alle Energien aufzehrt und die Menschen fast keine Kraft haben, sich um ihre innere Entwicklung zu kümmern oder auf andere, nahe stehende Menschen einzugehen, dann geht die kollektive Entwicklung sehr langsam voran. Und das kann man ja auch ungefähr bis zum Ende des 17. Jahrhunderts beobachten, dass das meiste immer so blieb, wie es war. Neuerungen kamen ganz langsam. Ab und zu wurde mal eine grosse Erfindung oder Entdeckung gemacht, aber das geschah in grossen Abständen, und die Menschen im 17. Jahrhundert lebten nicht so sehr viel anders als die Menschen beispielsweise im 13. Jahrhundert. (Silvie, beim Tippen: Da fällt mir ein, dass ich neulich irgendwo gelesen haben, wenn man eine Zeitreise in das Jahr 1680 machen würde und dort ein Jahr bliebe, hätte man ungefähr so viel erlebt wie heutzutage in einer Woche.) Tio: Dann aber, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, wurden einige stark beschleunigende Erfindungen gemacht. Eine davon war die Erfindung der Dampfkraft. Die Dampfkraft hat den Bau von Maschinen sehr erleichtert, diese haben dann den Menschen viel Arbeit abgenommen, und die Entwicklung hat sich deutlich beschleunigt. Die Menschen hatten mehr Zeit, und gleichzeitig wurde der Lebensstandard immer besser. Später hat die Erfindung der Dampfkraft recht unerfreuliche Blüten getrieben, und Menschen wurden in den neu entstehenden Industriebetrieben ausgebeutet – aber das ist ein anderes Thema, das wir in diesem Rahmen heute nicht betrachten können, und ich erwähne das jetzt nur der Vollständigkeit halber. Zunächst einmal war die neue Industrie sehr gut für die Erleichterung des Alltags. Die Wissenschaften profitierten auch von der veränderten Lebenslage der Menschen, und so nahm z.B. die Medizin einen Aufschwung, was seinerseits ebenfalls zur Steigerung der Lebensqualität beitrug. Kurz gesagt: Es wurde besser. Jetzt auf einmal hatte man Zeit, den Blick aus dem Wäschezuber, aus dem Backtrog oder von sonst einem anstrengenden Tagwerk zu erheben und sich umzusehen und mal zu schauen: Wer ist denn da so in meiner Umgebung? Da sind ja sehr interessante Leute bei, vor allem solche vom anderen Geschlecht. Und man kann sich verlieben, das war ein ganz neues Gefühl, und die gewonnene Zeit, die gewonnene Energie und die besseren Lebensumstände haben den Menschen einen richtig grossen Entwicklungssprung ermöglicht, und von da an ging es sehr viel schneller mit der Entwicklung des menschlichen Innenlebens. Plötzlich, jetzt, in der Zeit der aufkeimenden romantischen Liebe, sah man im anderen Menschen eine mögliche Ergänzung zu sich selbst. Das war eine absolut neue Idee. Bisher hatte sich kaum ein Mensch Gedanken darüber gemacht, dass er vielleicht nicht vollständig sei und dass er in einem anderen Menschen eine Ergänzung zu sich selbst finden konnte. Ein ganz neues Empfinden wurde geboren und verbreitete sich explosionsartig auch in breiteren Bevölkerungsschichten: Plötzlich waren zwei – ein Mensch. Die Menschen kamen wirklich ein grosses Stück aus ihrer Vereinzelung heraus, die durch die harten Lebensumstände vorgegeben gewesen war, und konzentrierten sich nun auf einen anderen Menschen, einen Liebespartner, ein Gegenüber, mit dem sie zusammen eine ganz neu empfundene ideale Einheit zu bilden glaubten. Zumindest strebten sie diese Einheit an. Die Idee des Seelenpartners wurde geboren, und wenn man das Glück hatte, materiell nicht ganz arm zu sein, so dass einem der gestiegene Lebensstandard auch zur Verfügung stand, dann hatte man in jener Zeit nun genug Energie übrig, um sich auf die Suche nach seinem Seelenpartner zu begeben. In jener Zeit fanden viele Menschen ihren Seelenpartner, zahlreiche Menschen lernten diese neue Art romantischer Liebe kennen und erfuhren sie in ihren vielen Facetten. (Silvie muss mal husten). Silvie: Tio, du hast heute ein ziemliches Tempo. Vielleicht bist du zu schnell. Tio (zu den Zuhörern): Ja, ich habe heute wirklich ein ziemliches Tempo. Bin ich denn zu schnell? – Nein? Dann kann ich ja so weitermachen. Es war also eine total neue Idee damals, dass man in dem Anderen seinen Ergänzungspartner sah. Heute ist dieser Gedanke noch immer derartig gang und gäbe, dass er als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Heute ist er allerdings nicht mehr zeitgemäss - dazu sage ich gleich noch was. Damals allerdings war dieser Gedanke neu, und damals war er richtig. Man befand sich aber, auch in der Zeit, in der die romantische Liebe neu war, immer noch in einer Position, in der man seinem eigenen Ego, seiner eigenen Persönlichkeit noch auf das Engste verhaftet war. Man fragte sich damals: „Wer bin ich? Wo bin ich unvollständig? Welche Eigenschaft fehlt mir?“ So zu denken war für die damalige Zeit ein grosser Fortschritt. Energie für solche Fragen hatte man erst mit den verbesserten Lebensbedingungen um das Jahr 1800 herum. Ja, und dann fragte man sich in einem zweiten Schritt: „Wo finde ich denn nun die Ergänzung?“ Wenn man ein Mann war, dann konnte man sagen: „Oh, das ist aber eine bezaubernde Frau. Sie hat genau die Eigenschaften, die ich so bewundere, weil sie mir fehlen. Sie hat genau die Eigenschaften, die ich gerne hätte, sie ist meine Seelengefährtin, und wenn ich mich mit ihr in Liebe verbinde, dann werden wir beide miteinander eine vollständige Einheit bilden“. Dies ist der Grundgedanke der romantischen Liebe: Mit einem Menschen des anderen Geschlechts eine neue überpersönliche Einheit zu bilden. Ich bringe es ein bisschen auf den Punkt: Zwei sind eine Seele; zwei sind ein vollständiger Mensch. Das war neu und revolutionär. Es hat in jenen Zeiten für ziemlich viel Heiterkeit gesorgt, für ziemlich viel Flirterei und Verliebtheit und Spiele und ganz neue Facetten der Erotik, aber es hat auch ziemlich viel Leid nach sich gezogen. Die Menschen stellten nämlich oft fest, dass die vermeintliche ideale Ergänzung dann doch nicht so ideal war, was Raum für alle möglichen Projektionen gab. Oder die Ergänzung war ideal, liebte aber ihrerseits eine andere vermeintlich ideale Ergänzung, und man kam nicht zu ihr hin. Aus diesem Stoff sind viele menschliche Tragödien entstanden. (Silvie muss das Band umdrehen und bekommt es nicht gleich gestartet.) Tio (laut und heiter): Du musst bei dieser alten Gurke von Gerät alle Tasten gleichzeitig fest drücken und die Pausentaste dabei loslassen! Silvie: Ah so. Tio: So technisch unbegabt bin ich doch gar nicht. (Alles lacht.) Wir haben inzwischen Schritte unternommen, um ein anständiges Aufnahmegerät zu bekommen. Das gestaltet sich technisch ziemlich schwierig, aber allmählich sehen wir diesbezüglich Land. Tio: Nun aber zurück zum Vortrag. Ich möchte hier noch einmal an dessen Titel Erinnern: „Die Leiden des jungen Werther“, an jenen Roman, der ein Startschuss für die romantische Literatur und die neue Epoche der Liebe war und den auch heute noch fast jeder kennt, und dieser Roman war nicht erfunden. Es gab eine reale Vorlage, eine Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang, die tatsächlich geschehen ist und die Goethe nur literarisch aufarbeitete. Ein junger Mann, der, soweit ich weiss, nicht Werther hiess, aber so ähnlich, verliebte sich sehr in seine vermeintliche Ergänzung, verlor sie an einen Anderen und beging dann Selbstmord – weil er glaubte, seine halbe Lebenskraft verloren zu haben. Solche wahren traurigen Geschichten kamen damals oft vor, und der bekannte Roman ist eigentlich eine (das kam irgendwie akustisch komisch rüber, etwa so:) Reehality Soup. Silvie: Reality Soap meinst du. Tio: Genau. Die anderen romantischen Autoren schrieben dann sowohl erfundene Geschichten als auch solche mit einem wahren Kern. Und in jedem Fall ist der Kerngehalt jener, dass Menschen, wenn sie ihre vermeintliche Ergänzung verloren, sich gerade eben noch halb fühlten und dann entsetzlich litten. Sie kamen nicht auf den Gedanken, die vermeintlich fehlenden Eigenschaften bei sich selber zu suchen. Sie trauerten um ihre verlorene Ergänzung, oder um die nicht eingelösten Versprechen, wenn die Ergänzung sich dann schliesslich als doch nicht so ideal herausstellte oder wenn der Ehealltag mit fünf Kindern, viel Arbeit und immer noch genug Leid, Not und Kärglichkeit die Lebensenergien frass. Die Menschen trauerten, machmal machten sie sich auf die Suche, um eine neue Ergänzung zu finden, oder sie resignierten, wenn sie sich aus ihrem Alltag nicht befreien konnten. Auf jeden Fall war in der Idee der romantischen Liebe nicht nur die Freude, sondern auch das Leid durch Enttäuschung gleich mit angelegt. Das klingt sehr nach der Liebe in der heutigen Zeit, aber da sind wir noch nicht. Wir wollen auf unserer Zeitreise noch etwas verweilen dort, wo wir gerade sind: so um das Jahr 1800 herum und im beginnenden 19. Jahrhundert, als die romantische Liebe ihre erste und grösste Blütezeit hatte. Wenn wir dieses Phänomen aus kosmischer Sicht betrachten, dann sehen wir, was diese Bewegung für die allgemeine, kollektive Entwicklung zu bedeuten hatte, dann sehen wir(d), dass die romantische Liebe die Menschheit als solche einen grossen Schritt nach vorne brachte. Die Menschen hoben tatsächlich zum ersten Mal in grösserer Zahl die Augen von ihrer Tagesarbeit und sahen sich um, schauten, was für andere Menschen es gab. Die Vereinzelung liess stark nach. Das zeitigte einen wirklich grossen psychologischen Entwicklungssprung. Für einen solchen braucht es allerdings Breitenwirkung, und auch diese war gegeben – am Anfang des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte. Damals war das allgemeine Bildungsniveau bereits viel besser als in den Jahrhunderten zuvor, viele Menschen konnten lesen, und so erfuhren die romantischen Romane eine recht grosse Verbreitung in den gebildeteren Schichten, und die weniger gebildeten Schichten hatten ein Äquivalent dazu: Groschenhefte. Diese waren einfacher geschrieben und würden einen Literaturwissenschaftler heute sicher nicht zufrieden stellen, aber sie transportierten dieselbe Botschaft wie die anspruchsvollere Literatur: die romantische Liebe. Schauen wir aber erst nochmal, was die gebildeteren Schichten taten, denn sie waren der eigentlich Motor für diese neue Art, auf Menschen zuzugehen. Da gab es nämlich ein unterhaltsames Spiel, das ganz nebenbei zum Träger jener neuen kulturellen Idee wurde: selbst geschriebene Fortsetzungsromane. Besonders besser situierte Frauen, die nicht arbeiten mussten, gründeten Lesezirkel und Literatursalons, die sich zum Teil mit anspruchsvollen Themen befassten, zum grösseren Teil aber auch einfach Spass hatten am Selberschreiben von romantischen Romanen. Das war in Zeiten ohne Fernsehen, ohne Kino, und – glaube ich jedenfalls – ohne Internet eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung. Diese Bücher existierten handschriftlich, sie wurden meistens nicht offiziell verlegt, und man kann sicher auch heute noch auf dem einen oder anderen Dachboden das eine oder andere dieser Bücher finden. Zum Teil sind sie wirklich sehr hübsch. So fand die Idee der romantischen Liebe in alle Bevölkerungsschichten Eingang und veränderte die Empfindungen fast aller Menschen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Und was für die gebildeteren Schichten das Lesen und das Selberschreiben war, das war für die einfacheren Leute das Groschenheft, auch eine damals neue Errungenschaft, die als Kulturträger immer noch unterschätzt wird. Stubenmädchen, Hauspersonal, Dienstboten lasen das, und so fand auch bei den weniger gebildeten Menschen die Idee fruchtbaren Boden, dass zwei Menschen eine Seele sind, eine Einheit bilden und einander ergänzen können. Die wenigen Menschen, die noch nicht lesen konnten, bekamen diese rührseligen Geschichten erzählt, und so fand die Idee der romantischen Liebe im westlichen Kulturraum Eingang in fast jedes Menschen Herz. Könnt ihr euch andeutungsweise vorstellen, was das für ein Umbruch war? Das war eine aufregende, neue, noch nie dagewesene Art zu leben und zu lieben. Die neue Idee der Ergänzungsliebe drang so tief in die kollektive menschliche Psyche ein, dass sie sogar heute immer noch als die einzige Art zu lieben gilt –, kaum jemand weiss, dass sie eigentlich ziemlich neu ist und erst eine ganz kurze Geschichte hat, und gerade erst beginnen einige wenige Menschen, zu hinterfragen, ob sie für den Bewusstseinsstand der heutigen Zeit eigentlich noch so ideal ist. Bevor ich unsere Zeitreisemaschine gleich in eurer Gegenwart anhalten, möchte ich euch noch etwas Anderes, sehr Auffälliges erzählen. Wenn die Silvie und ich Beratungen machen, dann werden wir natürlich auch sehr häufig nach der Liebe gefragt – nach Liebespartnern und danach, ob man sich aus anderen Leben kennt. Wenn die Beziehung intensiv und eng ist, kann man davon ausgehen, dass man sich kennt. Da habe ich etwas Auffälliges festgestellt, was zu den Ereignissen auf unserer kleinen Zeitreise sehr gut passt: Ich sehe nämlich sehr oft, dass Liebespaare in den Inkarnationen vor dem Zeitalter der Romantik sich zwar durchaus begegnet sind, aber selten als Liebespaare. Sie hatten alle möglichen anderen Rollen inne, manchmal waren sie sogar Ehepaare, aber ohne das, was ihr heute als Liebe kennt, sondern vorwiegend als Partner in einer Wirtschaftsgemeinschaft. Was ihr heute kennt als intensive herzliche Bezogenheit auf einen Anderen finde ich in den älteren Jahrhunderten sehr selten. Manchmal finde ich so etwas, wenn ich mir das 19. Jahrhundert anschaue, oder ich gehe bis in sehr ferne, andere Kulturen zurück, da hat es das allerdings durchaus gegeben. Romantische Ergänzungsideen oder eine verwandte Form von Liebe, die sich daraus entwickelt hat, sieht man in der Epoche der Menschheit, in der ihr jetzt lebt, erst neuerdings, nämlich seit etwa 200 Jahren. Und das ist auch exakt jene Zeit, als die Zeitenwende, in der ihr euch heute befindet und die so schnell geworden ist, ganz allmählich begann. Heute allerdings, schon nach so einer kurzen Zeit einer neuen Art des Zugehens auf einen Anderen, steht schon wieder ein Wandel an. Die romantische Liebe, die heute noch tief in jedem Menschen verankert ist als die Suche nach der idealen Ergänzung, ist ein ziemlich kurzlebiges Übergangsmodell, und wenn ihr auf eure eigenen Liebesgeschichten zurückblickt, dann werdet ihr sehen: auf lange Sicht hat sich dieses Modell auch nicht bewährt. Es war nur für eine kurz bemessene Übergangsfrist gut und richtig und ist schon überlebt. Die Ergänzung im Anderen zu suchen, diente nur dazu, die Augen aus der eigenen Suppenschüssel heben zu können und wahrzunehmen, dass es noch andere Menschen gibt, die ganz anders sind als man selbst und dass man zu ihnen eine intensive gefühlsmässige Bindung haben kann. Aber das mit der Ergänzungspartnerschaft hat, um es salopp zu sagen, wirklich nicht geklappt und darauf war diese Idee auch gar nicht angelegt. Allerdings spukt diese Idee, im Anderen die Ergänzung seiner selbst zu finden, immer noch in den Köpfen und Herzen vieler Menschen herum. Dieses Modell bedarf allerdings einer gründlichen Revision und möchte von all den alten Energien befreit werden, damit es euch in euren Liebesbeziehungen gut geht und ihr euch dort das rechte wünscht und auch das rechte einbringt. Mir ist aufgefallen – und auch da habe ich die Silvie geärgert, indem ich recherchiert habe, ohne dass sie es nachprüfen konnte – Silvie (schmunzelnd): Ich habe einfach keine Zeit, so viel zu lesen, dass ich den Tio kontrollieren könnte. Kann ich einfach nicht. Tio (munter): Dafür hast du ja mich. Ich lese. Beziehungsweise ich recherchiere. Nun aber. Was mir aufgefallen ist, ist dass in der ganze Beziehungsliteratur für die heutige Zeit eine Sache nicht klar ist, die ein grosser Fehler ist und die noch aus der Zeit der romantischen Liebe stammt: da ist nämlich fast überall die Rede davon, dass man vom Partner etwas bekommen will oder bekommen muss. Das ist der alte Ergänzungsgedanke: „Was hat der Andere, was ich nicht habe? Was kann ich von ihm bekommen, damit ich vollständig bin?“ Und umgekehrt denkt der Liebespartner ähnlich: „Was hat sie, was ich nicht habe? Was kann sie mir geben, was ich dringend brauche?“ Seht ihr, das ist das alte, romantische Modell, das nur ein Zwischenschritt war, eine ganz kurze Epoche, ein Intermezzo, um zu einem anderen umfassenderen Verständnis und einer anderen glücklicheren Erfahrung von Liebe zu kommen und Liebe wirklich das sein lassen zu können, was sie sein kann – jetzt und in der Zukunft. Es geht also nicht darum – jetzt und in der Zukunft - dass ihr glaubt, ihr müsstet etwas vom Partner bekommen oder dass ihr euch umgekehrt verpflichtet fühlt, ihm etwas zu geben, was er nicht hat. Silvie, wir sollten das, was jetzt kommt, am besten in einen Kasten setzen. Kannst du denn jetzt Kästen machen beim Tippen? Silvie: Ich kann immer noch keine Kästen machen, bzw. ich kann das, aber das Webseitenprogramm verliert sie dann immer aus der Formatierung. Aber wir werden das, was du sagen willst, mittig setzen und in grösserer Schrift. Tio (lustig): Gut. Also mittig, fett und in „Word“ :
Bekommen soll man etwas von seinen Eltern wenn man ein Kind ist.
Nicht im Erwachenenalter von seinem Liebespartner.
Mit dieser Erkenntnis könnt ihr einen grossen Schritt weitergehen. Vielleicht mögt ihr euch mal hinsetzen und analysieren, was habt ihr euch in früheren Liebesbeziehungen gewünscht, und habt ihr das bekommen? Was wünscht ihr euch heute, und besteht Aussicht, das in eurer gegenwärtigen Liebesbeziehung zu bekommen? Das sind nämlich alles Inhalte, die ihr eigentlich hättet von euren Eltern bekommen müssen, als ihr Kinder wart, die euch eure Eltern aber oft nicht geben konnten, weil die Zeit schon das ganze 20. Jahrhundert lang so ungeheuerlich rasant war, dass viele Eltern einfach ihren Kindern nicht das geben konnten, aus Gründen eigener Entwicklung, was diese Kinder eigentlich dringend gebraucht hätten: Geborgenheit, Förderung, Wertschätzung, Unterstützung bei der Entwicklung ihrer ganz eigenen Talente und Qualitäten, Warmherzigkeit, ein gutes Zuhause – solche Dinge. Wenn man das als Kind nicht bekommen hat, sucht man es intuitiv in einer Liebespartnerschaft und trägt das alte romantische Modell weiter, das fragt: „Wo ist die Ergänzung? Wo kann ich das bekommen, was mir bisher so dringend gefehlt hat?“ Und wenn ihr es in eurer Kindheit nicht bekommen habt, dann setzt euch diese neue Erkenntnis, dass man es in einer Partnerschaft ebenfalls nicht bekommen kann – jedenfalls nicht, wenn man aufhören möchte zu leiden – die versetzt euch dann in die Lage, zu schauen, es selber zu entwickeln, was euch fehlt. Als gesunde, bewusste Erwachsene könnt ihr das. Ihr seid durchaus alle in der Lage, euch selbst Geborgenheit zu geben, wenn ihr welche braucht und wenn eure Eltern sie euch nicht geben konnte. Euer Liebespartner kann das allerdings nicht für euch tun, denn er hat eigene Defizite aufzufüllen und muss es auf demselben Weg tun wie ihr. Aber wenn ihr bewusst lebende Erwachsene seid, dann könnt ihr euch Geborgenheit – nur als Beispiel – selber geben. Ihr könnt euch durchaus ein schönes Zuhause schaffen, ihr könnt lernen, gerne bei euch selbst zu sein, und ihr könnt euch Wertschätzung geben, wenn ihr sie als Kinder nicht bekommen habt. Ein Partner kann dieses Defizit nicht füllen, er kann euch allenfalls Erleichterung verschaffen, wenn er euch achtet, aber ein echtes Defizit kann ein anderer Mensch nicht füllen. Das alte romantische Modell wird nicht mehr funktionieren. Ihr könnt euch aber selbst all das geben, was ihr in eurer Kindheit nicht bekommen habt, weil es nicht ging, weil die Zeiten zu rasant waren und eure Eltern sich nicht dazu in der Lage sahen. Vielleicht haben sie sich nicht so rasch entwickeln können, wie die Zeit es erfordert hätte. Viele Menschen sind im 20. Jahrhundert entwicklungsmässig auf der Strecke geblieben. Sie können alle nichts dafür und haben dies mit sehr viel Leid erfahren müssen, und die Generation der Eltern jener Leute, die jetzt im mittleren Lebensalter sind, waren vom Wertewandel besonders betroffen. Jetzt aber könnt und dürft ihr unsere Zettel benutzen mit der Liste lösender Sätze, ihr könnt und dürft Familienaufstellungen machen, ihr könnt und dürft euch gegenseitig helfen und euch Impulse geben, ihr könnt und dürft sogar therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, wenn ihr wirklich schlimm leidet. Ihr könnt und dürft euch heutzutage selber Hilfe zukommen lassen, wenn ihr irgendetwas dringend braucht, was ihr bisher nicht bekommen habt. Und ihr könnt und dürft aufhören, dies von eurem Partner zu erwarten, denn der ist in einer ähnlichen Situation wie ihr und kann euch das nicht geben, was ihr so sehr vermisst. Keine zwei unvollständigen, bedürftigen Leute werden mehr voneinander Heilung erwarten. Es geht darum, dass jeder Mensch einigermassen vollständig, heil und ganz wird. Eine Liebesbeziehung wird das nicht leisten - dies ist ein Kunststück, dass man selbst vollbringen muss. Die neue Art der Liebe, die ich schon immer häufiger sehe und die gegenwärtig noch ein bisschen schwierig ist, aber zunehmend einfacher wird und die frei ist von jeglichem Leid, die besteht darin, vom Partner nichts mehr bekommen zu wollen, um Defizite zu stopfen. Wünschen darf man sich allerdings etwas, das ist durchaus statthaft. Wünschen ist aber eine ganz andere Energie als Brauchen, Habenwollen oder Vermissen. Wenn man sich von seinem geliebten Lebenspartner etwas wünscht, dann ist dies eine ganz freie, sanfte und schöne Energie. Der Liebespartner weiss dann, was man gerne hätte, worüber man sich freuen würde, und wenn er es hat, wird er es euch nicht geben, um irgendwelche Lücken in eurer Psyche zu füllen, sondern er wird es euch schenken. Da braucht ihr dann auch nichts zurück zu geben, ausser ihr tut es freiwillig. Er wird es euch einfach schenken. Eine wirklich reife Liebesbeziehung, die ganz ohne Schmerz sein kann und bei immer mehr Menschen auch ganz ohne Schmerz sein wird, die arbeitet nicht mehr mit dem Gefühl, etwas zu brauchen, etwas vom Andern bekommen zu müssen und dem Anderen etwas geben zu müssen, was man vielleicht gar nicht hat oder nur mit sehr viel Mühen geben kann, weil man es eigentlich dringend selber bräuchte. Diese neue Art der Liebe, bei der nicht mehr
gelitten wird, die schenkt dem Anderen gern, wenn man etwas Gutes übrig hat. Sie
lässt dem Anderen aber auch ganz frei, ob er das gebrauchen kann. Und die
wünscht sich etwas vom Anderen, lässt ihm aber frei, ob er das hat und ob er
einem das geben will. Diese neue Art der Liebe arbeitet mit offener
Kommunikation, wo jemand ehrlich seine Wünsche aussprechen kann und wo jemand
offen sagen kann: „Ich möchte dir etwas schenken, willst du es haben?“ Etwas an
menschlichen Werten beispielsweise, an erfreulichen Dingen, an Unternehmungen,
an schönen erotischen oder anderen Erfahrungen. All das kann man anbieten als
Geschenk aus einem offenen Herzen. Der oder die Geliebte wird vollkommen frei
sein, dies anzunehmen; es gibt keinerlei Verpflichtung, die damit verbunden ist,
etwas Gleichwertiges zurückzugeben. Es wird in dieser neuen Art der Liebe ganz
von alleine so sein, dass Menschen einander achten so wie sie sind, mit allen
Entwicklungsprozessen, in denen sie stecken und die sie noch vor sich haben, mit
allen positiven Eigenschaften, mit allen Schattenseiten, mit allen Diese neue Art von Liebe hat etwas im Gefolge, und das ist Glück. Nicht mehr Bedürftigkeit, die der Motor der romantischen Liebe war, um einen Ergänzungspartner zu finden. Wenn zwei einigermassen heile und ganze oder bewusst in Heilung begriffene Menschen einander finden, hat das Glück eine Chance. Die neue Art von Liebe ist von gegenseitiger Wertschätzung getragen, und sie bringt Freude mit und das Bewusstsein, den Anderen als ein riesiges Geschenk zu würdigen und in die Arme und ins Herz zu nehmen. Und das geht ganz ohne Leid und wird die übliche Form der Liebe für die Zukunft sein. Liebe und Leid, die in den letzten zweihundert Jahren so eng miteinander verbunden waren, werden sich dann wieder entkoppeln und das Leid wird nach und nach aus der Welt verschwinden, so wie die echte Liebe wächst. Ich danke euch für eure Konzentration und ich wünsche euch viel Liebe, viele erfüllte Wünsche und viele gegebene und empfangene Geschenke. (Ende des Vortrags.) Silvie legte allerdings im Anschluss daran Wert darauf, zu betonen, dass diese Art von Liebe nicht zu verwechseln ist mit der verbreiteten Irrtum, sich alles gefallen zu lassen. Dies liesse nämlich eher darauf schliessen, dass noch eine alte Wunde oder ein alter Glaubenssatz geheilt werden muss. Darüber hat Tio aber in seinem Sex-Vortrag vor zwei Monaten allerhand gesagt. Die Fragen, die gestellt wurden, waren durchweg persönlich und werden hier nicht abgetippt.
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