«Was Kinder heute lernen, wird bald bedeutungslos sein»

Bestsellerautor Yuval Harari warnt vor einer Zukunft, die von künstlicher Intelligenz beherrscht wird.

«Wie setzen wir die Macht der Algorithmen weise ein? Das ist die derzeit wichtigste Frage der Menschheit.»
Yuval Harari, Historiker.

 

Beobachter: Herr Harari, Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch, die Menschen könnten alle Macht an Algorithmen verlieren. Müssen wir Angst haben?
Yuval Harari: Wir sollten sehr auf der Hut sein. Die Macht verlagert sich in immer mehr Bereichen weg von den Menschen und hin zu Algorithmen. Vielleicht werden bald sogar die wichtigsten Entscheide in Politik und Wirtschaft von Algorithmen getroffen.

Beobachter: Wie bitte?
Harari: Ich glaube zwar nicht, dass eine künstliche Intelligenz etwa den Platz der deutschen Kanzlerin Angela Merkel einnehmen wird. Aber ihre Entscheide werden von künstlicher Intelligenz beeinflusst werden. Merkel könnte dann nur noch aus Optionen auswählen, die auf der Analyse grosser Datenströme und algorithmischer Berechnungen beruhen. Ihre Entscheide werden eher die Sicht der künstlichen Intelligenz widerspiegeln als die Weltsicht der Menschen.

Beobachter: Auch heute entscheiden Politiker aufgrund von Sachzwängen.
Harari: Heute können Politiker weltweit auswählen, welche Wirtschaftspolitik sie betreiben wollen. Aber in nahezu allen Fällen bilden ihre Optionen nur die kapitalistische Perspektive ab. Die Politiker haben die Illusion einer Wahl, aber die wirklich wichtigen Entscheide wurden bereits zuvor gefällt – durch Ökonomen, Banker und Geschäftsleute. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden die Politiker nur noch aus einem Menü auswählen können, das eine künstliche Intelligenz geschrieben hat.

Beobachter: Wie wird das unser Leben verändern?
Harari: Wenn Algorithmen die besseren Entscheide treffen als wir – in Politik, Wirtschaft, sogar in der Liebe –, wird sich unser Konzept von Menschlichkeit und vom Leben ändern. Die Menschen haben sich an die Vorstellung gewöhnt, dass das Leben ein Drama der Entscheidungsfindung Lebensplanung «Ich kann mich nie entscheiden» ist. Die Demokratie und die freie Marktwirtschaft sehen den Einzelnen als rationalen Menschen, der vernünftige Entscheide trifft. Kunstwerke – Shakespeares Theaterstücke, Jane Austens Bücher oder Hollywood-Komödien – drehen sich meist um Helden, die vor elementaren Entscheidungen stehen: Sein oder Nichtsein? Mr. Collins heiraten oder Mr. Darcy? Auch die christliche und die muslimische Religion fokussieren auf Entscheidungen, indem sie das ewige Seelenheil oder die Verdammnis vom Verhalten abhängig machen.

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