Staatsanwälte (CH) verhängen immer mehr Freiheitsstrafen in Eigenregie

Staatsanwälte (CH) verhängen immer mehr Freiheitsstrafen in Eigenregie

Staatsanwaltschaften haben grosse Macht und setzen immer häufiger auf Strafbefehle, für die kein Gericht nötig ist. Kritische Fragen sind unerwünscht. Nach Beobachter-Recherchen wird nun die Zürcher Justizkommission aktiv.

«Stellen Sie sich vor, der Captain der gegnerischen Fussballmannschaft wäre gleich noch der Schiedsrichter. Da kann man sich noch so sehr Mühe geben, neutral zu sein, ganz wird das nie funktionieren», sagt Marc Thommen, Strafrechtsprofessor an der Universität Zürich.

Was im Fussball sofort einleuchtet, gilt in der Justiz offenbar nicht. Vor gut zehn Jahren wurde aus Spargründen und wegen hohen Zeitdrucks praktisch die ganze Strafjustiz an die Staatsanwaltschaften ausgelagert. So wollte man die Gerichte von der sogenannten Massenkriminalität entlasten. Die Folge: Staatsanwältinnen und -anwälte, die eigentlich Ermittlungen leiten und Anklage erheben sollen, bestimmen häufig gleich noch die Strafe. Ganz ohne störendes Gericht. Möglich macht das: der Strafbefehl.

Staatsanwälte können seither in eigener Regie Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten verhängen. Dafür müssen sie nicht einmal die beschuldigte Person einvernehmen. Wenn die nicht innert zehn Tagen Einsprache erhebt, gilt der Strafbefehl als rechtskräftiges Urteil. Ein Gericht als Schiedsrichter gibt es nicht mehr. Die Folge: Im Zweifel wird verurteilt statt freigesprochen.

 

Ohne Gericht ab ins Gefängnis

Trotz rechtsstaatlicher Bedenken haben Strafbefehle in den letzten Jahren eine überragende Bedeutung erhalten. Sie machen nun über 90 Prozent der Strafurteile aus, letztes Jahr waren es 84’475. Drei von vier Personen, die zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, haben nie ein Gericht gesehen.

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