Die Zweckentfremdung im Pandemie-Modus. Der seltsame Fall der Covid-19-Zertifikate
Zusammenfassung von Teil 1 bis 3
In Zusammenarbeit mit dem niederländischen Enthüllungsjournalisten Jannes van Roermund, hat Re-Check eine dreiteilige Serie über das #FunctionCreep-Potenzial der Covid-19-Impfpässe (auch «grüner Pass», «Gesundheitspass», «Covid-Pass», «Covid-Zertifikate» genannt) veröffentlicht.
Ab September 2021 wird der Gültigkeitsbereich des Covid-Zertifikats in den meisten Ländern sukzessive erweitert. Der QR-Code Covid-19 ist heute nicht mehr nur eine «moderne, einfache und sichere Lösung», die, wie uns vor einigen Monaten gesagt wurde, «die Welt wieder öffnen und den Menschen die Möglichkeit geben sollte, wieder zu reisen»: Er ist zu einer unverzichtbaren Voraussetzung geworden, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich Covid-19-Zertifikate verbreitet haben, des Problems, das sie für den Datenschutz darstellen, und des Stellenwerts, den sie in unserer Gesellschaft mittlerweile eingenommen haben, ist die Frage berechtigt: Wann werden die Behörden aufhören, uns dieses System aufzuzwingen? Die Geschichte der Technologie lehrt uns, dass die Antwort darauf lauten könnte: vielleicht nie. Denn wenn eine solche «vorübergehende» Lösung eingeführt wird, besteht die Gefahr, dass sie dauerhaft wird und schliesslich für einen anderen Zweck als den ursprünglich geplanten verwendet wird. Man spricht dann von einem «function creep» (Zweckentfremdung oder Funktionsentfremdung).
Bert-Jaap Koops von der Universität Tilburg in den Niederlanden erklärt: «Was den ‘function creep’ von einer Innovation unterscheidet, ist, dass er eine qualitative Veränderung der Funktionalität beinhaltet, die Bedenken hervorruft. Nicht nur wegen der Veränderung selbst, sondern auch, weil diese Veränderung nicht ausreichend als transformativ anerkannt wird und daher einer Diskussion bedürfen würde.» Im Fall des Covid-19-Zertifikats deutet alles darauf hin, dass die Gefahr eines «function creep» besonders gross ist. Denn eine der denkbaren Zweckentfremdungen des Zertifikats deckt sich genau mit der Agenda mächtiger Interessengruppen. Bereits seit 2020 versuchen private und staatliche Akteure, die Implementierung des Covid-19-Zertifikats als Wegbereiter für ein umfassenderes und universelleres System zu präsentieren: ein Wallet für digitale Identitäten (e-ID, auch elektronische Identität genannt).
Unsere Recherchen haben gezeigt, dass ein Gewirr von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen die Krise tatsächlich ausnutzt. «Digitale Identitätssysteme sind auf dem Vormarsch», bestätigen Tommy Cooke vom Surveillance Studies Centre an der kanadischen Queen’s University und Benjamin J. Muller, ausserordentlicher Professor am Fachbereich für Politikwissenschaften am King’s University College der University of Western Ontario. Sie betonen, dass diese Risiken über Cybersicherheit, verantwortungsvolle Unternehmensführung und organisatorische Verantwortung hinausgehen: «Wir möchten jeden ermutigen, sich die grosse, aber wichtige Frage zu stellen: Was bedeutet es, die Identität zu digitalisieren, und was ist die Musteridentität? Mit anderen Worten: Wer ist der Modellbürger eines digitalen Identifikationssystems, und wie wird sein Bürgerprofil dazu verwendet, die Datenkategorien und Datenbanken zu erstellen, die für die Verifizierung erforderlich sind?»
° «Function creep» im Pandemie-Modus: der seltsame Fall der Covid-19-Zertifikate (1/3)
° «Function creep» im Pandemie-Modus: der seltsame Fall der Covid-19-Zertifikate (2/3)
° «Function creep» im Pandemie-Modus: der seltsame Fall der Covid-19-Zertifikate (3/3)