Mein Geburtstag – ein Leidenstag?
Mein Geburtstag
Als Kind hatte ich meinen Geburtstag – fast immer vergessen. Meine Mutter übernahm dann die Aufgabe der ehrenwerten Erinnerung. Ich hatte mir damals nie gross darüber Gedanken gemacht. Erst als ich älter wurde veranstaltete ich dann natürlich obligate, nach-pubertierende Partys für 30-50 Menschen in meiner damaligen 2-Zimmerwohnung (ja, da durfte man sich noch ein bisschen näher kommen, alle waren zufrieden, füllten sich die Bäuche voll und gingen von dannen. Mehr als ein Hauch von Flower-Power.
Nicht alle fanden das anscheinend so lustig, sich vom Gedanken hinreissen zu lassen, selber auch mal etwas auf die Stelzen zu hieven. Ein paar Wenige aber schon.
Irgendwann war ich es leid an Weihnachten und Neujahr hundert Karten zu verschicken (damals wenigstens noch zur Freude der Post. Die Angestellten fanden es wohl eher anstrengend, für sowas regelmässig Überstunden leisten zu müssen. Hier darf erwähnt werden, dass man von den hundert Karten während dem Jahr kaum mal etwas hörte oder gar sowas wie ein echter Austausch stattfand. So musste ich ich mich dann zunehmend anstrengen, dieser «Tradition» auch regelmässig Folge zu leisten.
Irgendwann überlegte ich mir dann auch, wieviele Kinder denn wirklich am Muttertag noch authentisch und herz-erfüllt ihre Pflicht absolvieren wollen resp. dann eben sollen. Nein, nein es gibt wirklich nicht nur Rabeneltern auf dieser Erdenscheibe 8O, einige sind definitiv sogar interdisziplinär weiterzuempfehlen.
Dann kam der Vatertag, Tag der Arbeit schon etwas länger, dann Tag der Kirche, der Tiere, der Emanzipation, der…des…im…vom…am…
Irgendwann fragte ich mich, wieso wir denn immer wieder endlos neue Termine vorgekaut bekommen müssen, um uns selber eine Freude zu bereiten. Das war der Moment, wo ich die Geburstagsvorgabe endgültig in den Tresor eingeschlossen hatte, äh, eigentlich eher einschliessen wollte!
Also gab ich meiner grossen Erdenfamilie bekannt, dass ich doch schon etwas länger mal herausgefunden hatte, dass es tatsächlich auch noch 364 andere Tage an Lager wären, wo man sich freudvoll Begegnen könnte, dürfte – wenn man denn wollte. Und wenn das denn einfach nicht ausreichen würde, gab es ja wenigstens einmal, alle vier Jahre, die Gelegenheit, dies auch am 366. Schöpfungstag nachzuholen – wenn man dies denn unbedingt so einrichten wollte.
Das fand ich schon deshalb eine gute Idee, weil ich von allen den vielen Anrufen an meinem Geburtstag, die wenigsten telefonisch während dem Jahr geniessen konnte, da wir ja in einer «Kultur» leben, wo die meisten, auffallend häufig, ach so wenig Zeit haben. Und wenn sie dann mal Zeit haben, dann passt es gerade nicht ins Abenteuerland, aber immer mit der professionellsten Beteuerung, dass sie es doch sooo schade finden, dass es gerade «einfach» nicht gehen würde. Und es wäre ja auch nicht böse gemeint. Wer denkt denn an sowas?
Irgendwann wurde ich das Gefühl nicht mehr los, dass wir, wenigstens in unserer moneten-euphorischen Sphäre, schon so viel an Pflicht-Grüssen, Pflicht-Telefonaten, Pflicht-Mails, Pflicht-Besuche und selbst physische Briefe, absolviert hatten, dass ich meine Mitleider*innen einfach mal probehalber davon, wenigstens ein kleines Stück befreien wollte. Nur an meinem Geburtstag: E-N-T-B-U-N-D-E-N. Das ist alles.
Also machte ich, inzwischen etwas nachhaltig betonter, meine mentale Aussendung, dass ich solche Pflicht-Absolvenzen nur noch von Menschen, Freunden und Bekannten in Empfang nehmen möchte, mit denen ich auch während meinem wahrhaftigen Lebensjahr irgendwie verbunden bin. OK, da gibt es auch welche, denen ist es einfach zu langweilig, gerade einen bequemen Lückenbüsser anvisierend, Zeittotschläger, einfach nur Probleme haben oder sonst was benötigen. Soll ja vorkommen.
Der typische «Fall von Denkste» musste sich natürlich auch bei diesem Vorhaben als Plaggeist in seiner gewohnt aufdringlichen Garderobe seine Modeschau präsentieren.
Der ersten lieben Freundin, erklärte ich das noch in “väterlicher” Geduld, die mich selber immer mal wieder überraschen kann und brauchte dazu etwa eine halbe Stunde der Akzeptanz, naja vielleicht nicht ganz so nachvollziehbar, aber dann doch als Wahrheit irgendwie ad acta ablegen zu können. Dass diese Person aber dann gleich ihrer Freundin den heiligen Termin überreichte, ob es denn genehm wäre (ihre Freundin hatte ich schon Jahre weder gehört und schon gar nicht gesehen), bekam aber dann post-wendend eine Mail mit ausgelassenen Glückwünschen.
Nun verstand ich gar nichts mehr. Hatte ich doch genau das Gegenteil einleite wollen. Also «Corona» kann`s ja nicht sein, da ich hierzu nicht mehr als eine Grippe ausfindig machen kann und wie ich hörte allenfalls die Geschmacksnerven dabei unterdrückt würden…. War mein Anliegen vielleicht so geschmackslos? 🙄
Das nächste Telefonat von einer Freundin, die ich vor zwei Jahren in ihrer Stadt spontan besuchte und sie «gerade keine Zeit» hatte, fragte mich nach 30 Sekunden bereits nach meinem Aszendenten. «damit sie mich etwas besser verstehen könnte» (wieviel sie wohl damit anfangen kann?) – nach ein paar weiteren Quizfragen sowas wie Normalität im Gespräch einkehren durfte.
Ein Nachzügler der Extraklasse gab mir dann noch einen Link auf einer Sozialplattform, damit ich aus ca. 50. Geburtstagsvideos gleich selber auslesen kann, was mir denn am besten gefallen würde. Man ist ja heute schon fast zufrieden mit den kleinen, virtuellen «Freiheiten» …
Eine weiteres Mail von einem befreundeten Ehepaar – er war mal in leitender Stellung von technischen Prüfungsabnahmen! – der meine Geburstagsdaten ausgerechnet einem Internet-Konzern anvertraute, diese dann achso liebenswürdig, elektronische Geburtstagswünsche aller Arten auf Auftrag verschickt, und so ganz nebenbei und unscheinbar versteht sich – auch noch Daten sammelt. Wie bitte soll da Freude aufkommen? Zudem habe ich von diesen Freunden noch nicht mal ihre Geburtsdaten, falls ich mal in einer «Phase von Rachsucht» heimgesucht würde. Mein dies- und letztjähriger Hinweis dazu blieb bis heute unbeachtet.
Einige weitere Freunde und Freundinnen, die sich immer mal wieder zur Aufgabe gemacht hatten, Geburtstage dürfen niemals im Zivilisations-Dschungel-der-Untätigkeiten untergehen und akribisch, mit meist nicht gerade sensibler Forderung nach «gib endlich mal deine Daten raus» ihren Sammeltrieb befrieden mussten, wurden ihrer selbstgestellten Aufgabe gerade ein einziges mal gerecht – das war vor ein paar Jahren. Damit darf dann auch dieses grossreisserische Projekt dann doch wieder im Dschungel nachgesucht werden. Überraschung?
Nö!
Nicht gerade zu meinem Leidwesen, habe ich meistens auch in den leider noch allzuoft verschmähten «restlichen» 365 Tagen Zeit für liebenswürdige und noch begeisterungsfreudige Gäste. Wohl bekomm`s!
Nun bin ich ja auch nicht der erste Kostgänger, der versucht, versteinerte Gewohnheiten, wenigstens ein klitzekleines Bisschen aufzulockern. So mag auch dieser kleine Same gesetzt und trägt vielleicht irgendwann mal dazu bei dem «Rest des Jahres» etwas mehr Stimmung und L(i)ebenshauch in den Bewusstseinkosmos einträufeln zu lassen.
Und jetzt willst du natürlich sicher wissen, wann, zum Kukuk, ich denn Geburtstag habe? Ich hab`s (zu meinem Glück 😛 ) einfach schon wieder vergessen und meine Mutter – tja, die lebt nicht mehr. Möge sie in Frieden weiterziehen und «täglich» ihren Geburtstag feiern dürfen.