Bei der Einführung der sogenannten Maskenpflicht im öV am 6. Juli war anfänglich nicht klar, ob SBB-Angestellte befugt sind, medizinische Atteste zur Maskendispens zu verlangen. Zudem ist in der Verordnung nicht von einem Attest, sondern nur von einem «Nachweis» die Rede.
Drei Wochen später, am 27. Juli, klärte ein Mitglied der Geschäftsleitung Personenverkehr und Leiterin Fernverkehr die unklare Lage per Mail:
«Es liegt allerdings nicht in den Aufgaben und der Kompetenz des Zugpersonals, das Vorhandensein oder die Echtheit der Zeugnisse zu überprüfen.»
Am 24. September präzisierte der Leiter Kundenbegleitung und Cleaning auf Anfrage per Mail:
«Da die Kundenbegleitung die Richtigkeit eines Arztzeugnis nicht beurteilen kann, wird auf ein Vorweisen im Zug durch den Kunden verzichtet (Vertrauensprinzip). Diese Kunden werden gebeten, sich an die geltenden Vorgaben zu halten. Auf eine Eskalation soll wenn immer möglich verzichtet werden.»
Zudem zitierte er in dieser Mail aus einer SBB-internen Anleitung:
Auszug aus internem Q&A der SBB / Fragen & Antworten / Covid@Kundenbegleitung
Wer ist für die Durchsetzung der Maskenpflicht verantwortlich?
Wir appellieren an die Eigenverantwortung der Kundinnen und Kunden. Die Mitarbeitenden mit Kundenkontakt machen die Kundinnen und Kunden, die keine Masken tragen, auf die geltende Maskenpflicht aufmerksam.Werden Kundinnen und Kunden gebüsst, wenn sie keine Maske tragen?
Das Personal Kundenbegleitung erteilt keine Bussen, wenn sich Kundinnen und Kunden weigern, eine Maske zu tragen.
Der Leiter Kundenbegleitung und Cleaning schloss seine Mail mit den Worten:
«Ich hoffe, dass Sie aus diesen klaren Aussagen unsere gestern besprochenen Haltungen wiedererkennen und dass sie möglichst keine negativen Erlebnisse in diesem Thema mehr haben werden.»
Dieser letzte Satz ist besonders erwähnenswert: Man gelobt Besserung.
Im Übrigen ist auch in den «Erläuterungen zu Covid-19-Verordnung» unmissverständlich festgehalten:
Artikel 13
Auf eine Pönalisierung von Verhaltensweisen von Privatpersonen, die sich nicht an die Regeln dieser Verordnung halten, wird angesichts der im Zentrum stehenden Eigenverantwortung und mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip verzichtet.
(Pönalisierung: Unter Strafe stellen. Anmerk. der Red.)
Damit gibt es an der Tatsache, dass weder Zugbegleiter noch andere Kontrollorgane medizinische Atteste einsehen dürfen, nichts zu rütteln. Das wird von unserem Strafrecht unmissverständlich gestützt, der Grundsatz lautet: «Keine Strafe ohne Gesetz».
Damit wird auch deutlich, eine Kontrollbefugnis durch wen auch immer ist obsolet!
Doch der Willkür scheint im Moment keine Grenze gesetzt zu sein:
Am 31. Oktober erhielt ich ein Schreiben der Alliance Swiss Pass, der öV-Branchenorganisation. Darin steht: «Die Person ist auf die Maskenpflicht im ÖV aufmerksam zu machen. (…) Sollte sich der Kunde weigern, eine Maske zu tragen oder ein Arztzeugnis vorzulegen, ist er gebeten beim nächsten Halt das Fahrzeug zu verlassen.»
Das widerspricht in sämtlichen Punkten obigen Ausführungen des Leiters Kundenbegleitung und Cleaning, der Verordnung und unseren Rechtsgrundsätzen.
Es ist für einen sogenannten demokratischen Rechtsstaat mehr als beschämend, dass derartige Arroganz, Willkür und Selbstüberschätzung an der Tagesordnung sind.
Wer im Besitz eines Attests zur Maskendispens ist, kann sich vor dieser Willkür schützen, indem er den nicht legitimierten «Kontrollpersonen» das Schreiben «Sach- und Rechtsattest» zur Unterschrift präsentiert (Zum Ausdrucken: siehe PDF unten).
Juristische Hintergründe: Siehe PDF «Praxiskommentar Art 1 StGB».
Bemerkung der Redaktion: Die Korrespondenz mit Betroffenen und SBB-Zuständigen (inkl. Aktennotizen) liegt Corona-Transition vor.